Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats September 2021

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 13.-15. September 2021 jeweils um 18 Uhr (am 13. in Anwesenheit von Iris Gusner) lief


Kaskade rückwärts

DDR 1983/1984 – 94 Min. (2561 m) – 35 mm (1:1,66) – Farbe

Regie: Iris Gusner. Szenarium: Iris Gusner, Roland Kästner. Dramaturg: Dieter Wolf. Kamera: Roland Dressel. Szenenbild: Peter Wilde. Bauausführung: Solvejg Paschkowski. Requisite: Werner Giesler. Musik: Gerhard Rosenfeld. Titel „Du schöne Handschuhmacherin“ Text nach Villon und Musik: Christian Kožik. Schnitt: Karin Kusche. Ton: Klaus Heidemann. Tonmischung: Christfried Sobczyk. Kostüme: Elke Hersmann. Masken: Jürgen Holzapfel, Renate Bredereck. Regieassistenz: Marlies Butzlaff. Kameraassistenz: Norbert Kuhröber, Wolfgang Ebert. Beleuchterbrigade: Werner Baatz. Aufnahmeleitung: Dieter Anders, Werner Teichmann, Kathi Stache.

Darsteller: Marion Wiegmann, Johanna Schall, Siegfried Höchst, Jaecki Schwarz, Gertraud Kreißig, Swetlana Schönfeld, Achim Wolf, Amina Gusner, Miriam Lewin, Jörg Panknin, Hilmar Baumann, Erika Köllinger, Hermann Beyer, Fernando Metzner, Regine Albrecht, Carl-Heinz Choynski, Rosemarie Bärhold, Eckhard Becker, Bernd Lade, Roland Kästner u.a.

DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe Babelsberg. Produktionsleitung: Erich Kühne, Manfred Renger.

Erstverleih: Progress.

Premiere: 9. Februar 1984, Berlin, Kino International.


Maja Wegner ist eine gestandene Frau in den angeblich „besten Jahren“: Erfolgreiche und beliebte Dispatcherin beim Kraftverkehr, verwitwete Mutter einer pubertierenden Tochter, Besitzerin eines Häuschens, das sie eigenhändig renoviert, worauf sie all ihre Freizeit verwendet.

Doch eines Tages unternimmt sie, zwecks Befreiung aus der scheinbaren Sackgasse, in der ihr Leben gelandet ist, ein gewagtes Manöver – ähnlich jener titelgebenden Kaskade rückwärts, mit der sich ein Reiter aus einer mißlichen Lage auf einem laufenden Pferd retten kann: Sie schmeißt alles hin und wagt einen Neuanfang – in Berlin, in einer Mietswohnung und als Schaffnerin bei der Reichsbahn. Neue Kontakte sind rasch geknüpft – nur die Suche nach einem Mann klappt nicht so recht, auch wenn die sich kühl und abgeklärt gebende Professorengattin von nebenan sich ihrer annimmt und zu einer guten Freundin wird. Und als Maja dann im eigenen Haus fündig wird, muß sie bald feststellen, daß der Musiker aus dem Dachgeschoß andere Vorstellungen von Zweisamkeit hat als sie.

Wenige Jahre nach ihrem großen Erfolg „Alle meine Mädchen“ (unserer Berlin-Film-Rarität des Monats August 2016) drehte Iris Gusner (geb. 1941) mit ihrem sechsten abendfüllenden Film eine von der Handlung her fast schon klassische Tragikomödie über die Selbstfindung einer Frau mittleren Alters – ein Untergenre, das sich international seit Mitte der siebziger Jahre einiger Beliebtheit erfreute. Iris Gusner verstand es jedoch, das vom Grundmuster her nicht allzu originelle Geschehen durch genaue Beobachtungen, eine einfallsreiche Inszenierung und überraschende Intermezzi zu bereichern, wie sie insbesondere für die zunehmend biedere DEFA-Spielfilmproduktion des letzten DDR-Jahrzehnts ungewöhnlich waren.

Die Filmkritik in der DDR störte sich gerade an diesem Genremix und pochte auf die Einhaltung der Konventionen, derweil der Streifen beim Publikum gut angekommen sein soll. Anfang 1988 – rund vier Jahre nach der DDR-Premiere – kam der Film auch in die Kinos in Westdeutschland und West-Berlin, wo er von der Presse deutlich freundlicher aufgenommen wurde. Während manche subtile Kritik an den Verhältnissen im SED-Staat ausmachten, fiel anderen auf, daß der Film genauso gut im Westen spielen könnte. Die DDR – samt spezifisch „sozialistischem“ Zusammenleben, seinen Umständen und Ritualen – ist hier hier (schon) fast abwesend.

Allerdings ist „Kaskade rückwärts“ rückblickend auch deshalb interessant, weil er zu den – angesichts der großen Bedeutung dieses Betriebes für den Personen- wie den Güterverkehr in der DDR – erstaunlich wenigen DEFA-Spielfilmen gehört, in denen die Reichsbahn eine größere Rolle spielt.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier, hier und hier.




Quelle der filmographischen Angaben: Produktionsjahr, Filmlänge, Filmformat, Darsteller ab Werner Dissel und Figurennamen: https://www.defa-stiftung.de/filme/filmsuche/pension-boulanka/ (besucht am 18.11.2020), dort werden außerdem genannt: Dramaturgie: Margot Beichler, Requisite: Theo (auch: Theodor) Görgens, Beratung (Artistik): Paul Heerdegen. Premiere: Berliner Zeitung vom 27.11.1964. Erstausstrahlung: Neue Zeit (Berliner Ausgabe) vom 23.4.1966. Alle anderen Angaben: Originalvorspann.

Bilder: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert.