Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats August 2023

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.


Vom 14.-16. August 2023 jeweils um 19 Uhr (am 14. mit einer Einführung) lief


Unter den Brücken
D 1944-1946 – 99 Min. (2721 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß

Regie: Helmut Käutner. Buch: Helmut Käutner, Walter Ulbrich. Vorlage: Leo de Laforgue. Liedtexte: Hans Leip. Kamera: Igor Oberberg. Musik: Bernhard Eichhorn. Bauten: Anton Weber, Hans Ender, Hartwig Nielsen, Jupp Büttgen. Außenrequisite: Max Linder, Robert Bahr. Innenrequisite: Paul Blumenthal, Fredy Isky. Garderobe: Carl Balkie, Max König, Berta Schindler. Maske: Arnold Jensen, Charlotte Kersten. Schnitt: Wolfgang Wehrum. Ton: Gustav Bellers. Regieassistenz: Rudolf Jugert, Wolfgang Wehrum. Kameraassistenz: Peter Michael Michaelis, Herbert Müller, Hermann Wassermann. Standphotos: Lars Looschen. Schnittassistenz: Eva Kalthoff.  Aufnahmeleitung: Viktor Eisenbach, Kurt Paetz, Geschäftsführung: Hans Speer. Herstellungsleitung: Walter Ulbrich.

Darsteller: Hannelore Schroth (Anna Altmann), Carl Raddatz (Hendrik Feldkamp), Gustav Knuth (Willy), Ursula Grabley (Kellnerin Vera), Margarete Haagen (Wirtschafterin), Hildegard Knef (Mädchen in Havelberg), Walter Gross (Mann auf der Brücke), Hellmut Helsig (Cafébesitzer Muhlke), Erich Dunskus (Schlepperkapitän Holl), Klaus Pohl (Museumsdiener), Helene Westphal, Hildegard König.

Produktion: Ufa-Filmkunst GmbH (Herstellungsgruppe Walter Ulbrich).

Produktionsleitung: Kurt-Fritz Quassowski.

Deutscher Erstverleih: Gloria.

Uraufführung: Juli 1946, Locarno.

Deutscher Kinostart: 18. Mai 1950.

Durch ein Mißverständnis hatte der Schauspieler und Kabarettist Helmut Käutner (1908-1980), der auch als Autor und Regisseur tätig war, 1939 einen abendfüllenden Film inszenieren dürfen. Innerhalb kürzester Zeit war er dann mit Arbeiten wie „Auf Wiedersehen, Franziska!“, „Wir machen Musik“, „Romanze in Moll“ oder „Große Freiheit Nr. 7“ zu einem der bedeutendsten deutschen Filmemacher aufgestiegen.

Seinen vielleicht allerbesten Film (und jenen, den er später als seinen ihm liebsten bezeichnete), schuf Käutner 1944: Die betont unspektakuläre, betont private Geschichte zweier Binnenschiffer, die von ihrem Schleppkahn immer sehnsüchtig den über die Brücken laufenden oder dort stehenden Frauen nachblicken. Eines Tages retten sie eine anscheinend lebensmüde, lassen sie auf ihrem Kahn übernachten und verlieben sich prompt in sie, was natürlich beider Freundschaft gefährdet. Doch auch eine Trennung („der eine kriegt die Frau, der andere das Schiff“) macht keinen der Drei glücklich.

Im Gegensatz zu der betonten Einfachheit der Geschichte war die Gestaltung des Films von einer – zumal für damalige deutsche Verhältnisse – außerordentlichen Meisterschaft: Herausragend waren allen voran die Photographie, die sich am Poetischen Realismus des französischen Kinos orientierte, sowie die ebenso geschickte, aber ganz unaufdringliche Gestaltung des Tons, die insbesondere bei den Szenen auf und am Wasser zur authentischen Atmosphäre beitrug.

Derweil die Nazis alles und jeden mit in ihren Untergang reißen wollten, wurde in diesem Film jener Individualismus gefeiert, den alle Sozialismen so sehr verabscheuen und verdammen: Die beiden Schiffer ziehen durch die Gegend, leben mitten in der Natur, sind die meiste Zeit auf sich gestellt, ohne große soziale Bindungen und Verpflichtungen, auch wenn ihr Kahn keinen Motor besitzt, sie also zum Fortkommen, außer wenn sie sich treiben lassen, auf einen Schlepper angewiesen sind.

Dennoch wurde „Unter den Brücken“ noch im März 1945 von der Zensur freigegeben, kam angesichts des Zusammenbruchs Nazideutschlands aber nicht mehr in die Kinos. Womöglich überlebte der Film nur, weil Kopien nach Schweden und in die Schweiz gelangt waren. Von dort drangen, nach der Uraufführung 1946 in Locarno, Lobeshymnen nach Deutschland, wo man „Unter den Brücken“ erst Jahre später zu Gesicht bekam. So nannte das Stockholmer „Aftonbladet“ den Film einen „Gruß aus einem anderen Deutschland“ und Roman Brodmann schrieb in der Züricher Zeitung „Die Tat“, dies wäre „künstlerisch, stilistisch und geistig betrachtet die letzte Sensation des deutschen Films und eine der größten Filmsensationen der letzten Jahre in Europa überhaupt“. Der Ruhm dieser Produktion nährte Erwartungen an das weitere Schaffen Käutners, die dieser dann nur noch selten erfüllen konnte.

Obwohl „Unter den Brücken“ zu den berühmtesten und am meisten gepriesenen deutschen Filmen gehört, ist er nur selten zu sehen – und dann zuweilen in unangemessener Form. So wurde im Fernsehen zuletzt eine Fassung mit zum Teil aufgehellten Bildern gezeigt, welche vor allem die Ästhetik der Nachtaufnahmen, die rund um die Glienicker Brücke oder im Berliner Osthafen entstanden, nicht nur verfälschte, sondern geradezu zerstörte. Richtig erleben lassen sich die stellenweise (auch wegen der kriegsbedingten Verdunkelung) tiefschwarzen Bilder ohnehin nur im Kino.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu diesem Film hier.




Quelle der filmographischen Angaben: https://www.filmportal.de/film/unter-den-bruecken_1c591c5ca3e246c4aa460c708940d4b0 (besucht am 16.7.2023).

Photos: Murnau-Stiftung.