Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats August 2018

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 13.-15. August 2018 (am 13. in Anwesenheit von Vera Müller, Peter Schirmann, David Slama und Regina Ziegler) um 19 Uhr lief


Ich dachte, ich wäre tot

BRD 1973/1974 – 80 Min. (2189 m) – 16 mm (aufgeblasen auf 35 mm) (1:1,33) – Farbe

Regie, Buch: Wolf Gremm. Kamera: David Slama. Kameraassistenz: Michael Sauer. Ton: Günther Hoffmann. Schnitt: Dorothee Gerlach. Regieassistenz: Claudia Schi­lin­ski. Kostüm: Anneke Sachse. Musik: Peter Schirmann.

Darsteller: I Sa Lo (Carolin), Reinhard Bock (Freund), Alix Buchen (Patientin), Ingrid Bzik (Mutter), Alexander Bzik (Vater), Martina Gayda (Frau des Freundes), Erika Fuhr­mann (Patientin), Vera Müller (Schwester), Gisela Müller (Mutter des Verlobten), Hans Müller, Peter Schlesinger (Vater des Verlobten), Achim Schmahl (Verlobter), Rudi Unger (Chef), Wulf Weidner (Schwager), Dieter Winkelmann (Verkäufer), Tanja Ziegler u.a.

Produktion und Erstverleih: Regina Ziegler.

Uraufführung: 14. Dezember 1973, Würzburg, City-Filmtheater.

Berliner Erstaufführung: 14. März 1974, Filmkunst 66.

Erstausstrahlung: 30. September 1974, 21.15 Uhr, ZDF. 


Heranwachsende kommt mit den Anforderungen, die ihre Umwelt an sie stellt, nicht zurecht, unternimmt einen Suizidversuch und findet erst da­nach, in einer neuen Umgebung, zu innerer Stärke und sich selbst. – Das klingt nicht so prickelnd? Ja, aber der erste abendfüllende Film von Wolf Gremm (1942-2015, „Fabian“, „Nach Mitternacht“, „Kamikaze 1989“) ist eben nicht „noch eines dieser Psycho-, Sozial- oder Frauendramen“. Der Absolvent der Deutschen Film- und Fern­sehakademie Ber­lin, der zuvor unter anderem das kurze Dokudrama „Der all­tägliche Selbstmordversuch“ gedreht hatte, erzählt die schwere Geschichte von einer jungen Frau, deren Eltern nerven, deren Chef nervt, deren Verlobter ein Waschlappen ist, deren Geliebter sich als verheiratet entpuppt, und der niemand zuhören, geschweige denn sie verstehen will, nicht nur wirklichkeitsnah und stellenweise improvisiert wirkend. Sondern auch auf eine ungewöhnlich leichte, zuweilen verspielte und mit Humor gewürzte Art, ohne dabei den Ernst der Thematik zu überdecken.

Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 30. September 1974 wurde Wolf Gremm zitiert: „Ich habe zwei Vorbilder – Jean Renoir und die italienische Commedia dell’arte, die Stegreifkomödie. Meine Hauptdarstellerin I Sa Lo, die ich im Berliner Grips-Theater entdeckt habe, hat mir einmal das Prinzip dieses Kindertheaters genannt: Wissen über Spaß vermitteln. Genau das will ich auch.“

Dies alles war vor fünfundvierzig Jahren ebenso ungewöhnlich wie es das heute wäre, und entsprechend viel beachtet und oft gelobt wurde „Ich dachte, ich wäre tot“, der zugleich zu den wenigen Spielfilmen gehört, der die ländlichen Ecken West-Ber­lins ins Bild rückte. Dennoch entwickelte sich der mit geringem Budget und vielen Laien gedrehte Streifen im Laufe der Zeit zu einem jener Berlin-Filme, die immer wieder erwähnt werden, aber nur selten zu sehen sind.

Dies ist um so erstaunlicher, als er filmhistorische Bedeutung auch insofern be­sitzt, als es sich um den ersten Film handelt, den Regina Ziegler in eigener Ver­antwortung produzierte. Dabei startete die seit langem bedeutendste deutsche Filmproduzentin, die mit Wolf Gremm von 1977 bis zu seinem Tod verheiratet war, ihr Geschäft auf volles eigenes Risiko – „Ich dachte, ich wäre tot“ entstand mit zusammengeborg­tem Kapital, ohne För­der­gelder oder Fernseh­beteiligung – und unter Überwindung vieler demoralisie­ren­der Probleme, die sich während der Dreharbeiten auftaten. Regina Ziegler bewies damit bereits jene Energie und Durch­set­zungsfähigkeit, die wohl wesentlich verant­wortlich wurden für ihren seit nunmehr fünfundvierzig Jah­ren anhaltenden Erfolg.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier und hier.














Aus dem ZDF-Pressematerial zur Erstausstrahlung

Wolf Gremm, Autor und Regisseur

„Ich sah I Sa Lo zum ersten Mal im Forumtheater in Berlin. In einem Stück für Kinder. Es war ein heißer Sonntagnachmittag, es waren nur zwanzig Kinder da. Uns fröstelte in dem leeren Theater. Als I Sa Lo auftrat, war der Mittag gerettet.

Sie spielte mit einer solch hinreißenden Moral, als wenn das Theater brechend voll wäre.

Meine siebenjährige Tochter Tanja fand I Sa toll. Die und keine andere solle ich für die Rolle der Carolin nehmen. Ich schloß mich Tanjas Meinung an und engagierte I Sa.“

Regina Ziegler, Produzentin

„‚Ich dachte, ich wäre tot’ ist meine erste freifinanzierte und -produzierte Spielfilm­produktion im Jahre 1973.

Anfangs haben wir versucht, das Thema bei einer Redaktion im Fernsehen zu plazieren, doch waren wir alle – Wolf Gremm, I Sa Lo und ich – doch zu unbekannt, so daß wir keine Möglichkeit erhielten, unser Projekt innerhalb des Fernsehens zu realisieren.

Einen Anfang zu finden, war sehr schwer, zumal gute Freunde – die in Vorgesprä­chen kapitalkräftige Unterstützung angeboten hatten – inzwischen ‚kurzfristig inve­stiert’ hatten und als Vertragspartner nicht mehr in Frage kamen.

Meine Absprachen mit den Mitarbeitern beliefen sich auf Gagenrückstellungen. Für kurzfristige Kleindarlehen hatte ich mich persönlich zur Rückzahlung verpflichtet. Nachdem diese finanziellen Hürden genommen waren, konnte es losgehen. Doch wir sollten während dieser Produktion vom Pech verfolgt werden, das Material der ersten drei Tage war durch einen Kameraschaden nicht zu gebrauchen, eine Negativversiche­rung war wegen des Budgets nicht abgeschlossen, und dann passierte es auch noch, daß im Kopierwerk mehrere Rollen Material – mehrere Tage harter Arbeit – durch ein Versehen in die falsche Entwicklung gegeben wurden. Und nach den Geschäftsbedingungen ist bei solchen Irrtümern das Kopierwerk nur verpflichtet, Filmmaterialersatz zu leisten. An diesem Punkte angekommen, wollte ich die Pro­duktion abbrechen und den Kopf in den Sand stecken, doch alle Mitarbeiter boten an, eigene Wertgegenstände zu verkaufen, um den Film weitermachen zu können. Diese Angebote machten mich wieder stark, obwohl ich sie nicht in Anspruch nehmen mußte.“

 

Das Fernsehspiel im ZDF, Heft 6, September/Oktober/November 1974



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Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge: https://www.filmportal.de/film/ich-dachte-ich-waere-tot_e3ca03a9f04941da846b70c56f612e3c (besucht am 23.7.2018). Filmformat: Regina Ziegler: Geht nicht gibt’s nicht, München 2017, S. 67. Zuordnung der Rollen zu den Darstellern, Erstausstrah­lung: ZDF-Programm Nr. 40/1974 (Das Fernsehspiel im ZDF, Heft 6, September/Oktober/November 1974 zufolge war die Erstausstrahlung zunächst für den 14. Oktober 1974, 21.15 Uhr vorgesehen). Uraufführung: Fränkisches Volksblatt vom 15. Dezember 1973. Datum der Berliner Erstaufführung, Erstverleih: Fimecho/Filmwoche Nr. 17/1974 vom 23. März 1974 (dort als „vorläufiger Verleih“ bezeich­net). Ort der Berliner Erstaufführung: Der Tagesspiegel vom 13. März 1974, Der Abend, Berliner Morgenpost, BZ vom 14. März 1974. Alle anderen Angaben: Originalabspann.

Bilder: Ziegler-Film.