Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Mai 2018

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 14.-16. Mai 2018 um 18 Uhr liefen











Unsere alten Tage

DDR 1989 – 48 Min. (1316 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie: Petra Tschörtner. Buch: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki. Dramaturgie: Martin Engelhardt. Kamera: Michael Lösche.
Produktion: DEFA-Studio für Dokumentarfilme, Gruppe „kinobox“. Produktionsleitung: Andreas Dahms.

Erstverleih: Progress.

Anlaufdatum: 18. Mai 1990.


Schnelles Glück

DDR 1988 – 10 Min. (272 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie: Petra Tschörtner. Buch: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki. Kamera: Jürgen Hoffmann. Graphik: Horst Härtel.
Produktion: DEFA-Studio für Dokumentarfilme, Gruppe defa kinobox.

Erstverleih: Progress.

Anlaufdatum: 26. Mai 1989.


Das Freie Orchester

DDR 1988 – 17 Min. (460 m) – 35 mm (1:1,33) – Farbe
Regie: Petra Tschörtner. Autoren: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki. Dramaturgie: Jochen Wisotzki. Kamera: Jürgen Hoffmann. Musikalische Bearbeitung: Das Freie Orchester.
Produktion: DEFA-Studio für Dokumentarfilme, Gruppe „kinobox“.

Erstverleih: Progress.

Anlaufdatum: 10. März 1989.


„Und wie ist Ihnen jetzt so zumute, zwei Tage bevor ...?“ – „Beschissen!“ – Eine Angabe, die um so verständlicher wirkt, wenn man die Verhältnisse in dem Altenheim betrachtet, in welches das Ost-Berliner Rentnerehepaar zieht: Die Insassen scheinen dort, ungeachtet ihres gesundheitlichen Zustands, hauptsächlich in Zweier- und Viererzimmern aufbewahrt zu werden, wobei ihr geistiger und körperlicher Verfall mangels Anregungen und Aktivitäten noch befördert wird. Eigeninitiative scheint nicht erwünscht, und wenn das Essen ausgeteilt wird, hat man sowieso auf seinem Zimmer zu sein.

Zumindest sind dies die Eindrücke, die Petra Tschörtner in ihrer 1989 entstandenen DEFA-Dokumentation „Unsere alten Tage“ vermittelt. In den Produktionsplan des Studios war der Film ohnehin nur gelangt, weil er einen vorbildlichen Pankower Neubau präsentieren sollte. Auch wenn die Zustände in vielen westlichen Altenheimen damals nicht anders gewesen sein mögen (ganz zu schweigen davon, wie sie heute sind): Deutlich wird hier in jedem Falle, daß die Phrasen von der „großzügigen Sozialpolitik“, welche die Heimleiterin anläßlich des vierzigsten Jahrestags der DDR pflichtgemäß drischt, ein Hohn sind. In Wahrheit scheint das sozialistische System, seiner bizarren Übersteigerung des protestantischen Arbeitsethos entsprechend, mit den aus dem Arbeitsleben Ausgeschiedenen nicht mehr viel anfangen zu können. Und pfercht man sie in Heimen zusammen, wird wenigstens dringend benötigter Wohnraum frei.

Petra Tschörtner provoziert solche Gedanken mit ihrer Schilderung des ziemlich trostlosen Daseins in dieser Einrichtung, aber sie enthält sich – abgesehen von einem kurzen Prolog – jedes verbalen Kommentars. Ihr Film, der auch allgemein und zeitlos zum Nachdenken über den Umgang mit alten Menschen anregt, steht damit ganz in der Tradition des anspruchsvollen, (soweit wie möglich) kritischen DEFA-Dokumentarkinos, dessen Regisseure sich auf diese Weise auch abgrenzen wollten von eher propagandistischen „Dokumentationen“, in denen oft der Off-Kommentar wichtiger war als das Gezeigte. Inzwischen ist die Methode, „Betroffene“ ausgiebig zu befragen und Bilder wirken zu lassen (auch auf die Gefahr hin, daß manches offen oder unklar bleibt), allerdings rar geworden: Dokumentationen werden wieder zugequasselt mit einem Off-Kommentar oder sogar mit Auftritten des Filmemachers vor der Kamera, wo dieser selbstverliebt erzählt, was er gerade macht oder denkt.

„Unsere alten Tage“ läuft zusammen mit zwei Kurzfilmen von Petra Tschörtner: über das Wettgeschäft auf der Rennbahn Karlshorst sowie eine alternative Ost-Berliner Band.

Unser Flyer zu diesen Raritäten. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu den Filmen hier, hier und hier.


BITTE BEACHTEN SIE: Weitere Kurzfilme von Petra Tschörtner zeigt das Brotfabrikkino in zwei Programmen am 10. und 11. Mai sowie am 12. und 13. Mai 2018, ebenfalls jeweils um 18 Uhr.

Zeitgenössisches Pressematerial des Verleihs

UNSERE ALTEN TAGE

Es braucht etwas Zeit, ehe Dokumentarfilmemacher sich ins öffentliche Bewußtsein einprägen. Das liegt u.a. am Umgang mit ihren Filmen. Wer kein Fan von Studiokino-Veranstaltungen ist, konnte bisher nur ahnen, daß im Dokumentarfilm-Studio der DEFA interessante Talente unsere Wirklichkeit reflektieren und dabei unterschiedliche anregende Handschriften entwickeln.

Jetzt kann das alles anders werden. Das Fernsehen jedenfalls zeigt nun die Dokumentarfilme der DEFA, die sonst überhaupt nicht oder wenn, dann zu so später Stunde gesendet wurden, daß selbst die Macher Mühe hatten, noch munter zu bleiben. Wie und ob sich der Umgang mit Dokumentarfilmen im Kino ändern wird, bleibt abzuwarten.

Petra Tschörtner ist bisher im DEFA-Studio für Dokumentarfilme die jüngste Regisseurin. Mit ihrem Diplomfilm „Hinter den Fenstern“, der 1983 bei den Oberhausener Kurzfilmtagen großen Erfolg hatte und in der DDR zumindest in Jugendclubs und zu anderen Sonderveranstaltungen vorgeführt wurde, hatte sie einen vielversprechenden Start. Darin ist eine Menge von ihrem Engagement für die soziale Wirklichkeit in diesem Land und von der sehr direkten Art enthalten, mit der sie ihren Partnern im Film begegnet. Drei junge Ehepaare in Potsdam, hinter anonymen Fassaden von Neubaublöcken lebend, reflektieren vor der Kamera ihre Beziehungen zueinander. Petra Tschörtner fragt geradezu, und sie bekommt sehr genaue, ebenso aufrichtige Auskünfte.

Erst fünf Jahre später konnte die Regisseurin in einem Auftragsfilm für das ZDF mit dem Titel „und die Sehnsucht bleibt ...“ das Thema Partnerschaft aus der Sicht von drei mit ihren Kindern allein lebenden jungen Frauen weiter verfolgen. Inzwischen festangestellt in der Gruppe „Kinderfilm“ des DEFA-Studios für Dokumentarfilme, hatte sie Aufträge zu realisieren. Eine Auswahl zwischen solchen, die für sie kaum in Frage kamen, und solchen, aus denen sie etwas ihr Gemäßes machte. Filme wie „Der Zirkus kommt“ und zwei Arbeiten über Kinder in Nicaragua („Das schnelle Glück“ und „Freies Orchester“ [sic!]) entstanden in der Zwischenzeit, als die Regisseurin außerdem in die Gruppe „kinobox“ überwechselte.

„und die Sehnsucht bleibt ...“ ist ein schöner, engagierter Film, der Partei ergreift für Frauen, die ihr Leben gemeinsam mit ihren Kindern über weite Strecken allein bestreiten.

Mit „UNSERE ALTEN TAGE“ setzt Petra Tschörtner ihre Methode der intensiven Beobachtung von Befragung von Menschen fort. Diesmal handelt es sich um alte Menschen, die in einem Pflegeheim in Pankow, einem anonymen Neubau, ihren sogenannten Lebensabend verbringen. Am Beispiel eines Ehepaares, das sich noch zwei Tage vor dem Umzug äußert, werden Umstände und Bedingungen für eine solche Einweisung deutlich gemacht. Dann erleben wir die beiden Alten in dem einen gemeinsamen Zimmer. Den Fernseher einzurichten ist eine erste wichtige Aktion, wird er doch dazu beitragen, daß Traurigkeit und Trübsinn sich in Grenzen halten.

Die Beobachtungen im Heim: der Tagesablauf, die Bewohner, das Personal, – sind sehr genau und kritisch gemeint. Man erschrickt über die laute, wenig sensible Zeremonie der Essensausgabe. Der rauhe Ton der jungen Schwester und die freundliche, naive Unbeholfenheit der alten Menschen werden im Film zu einem bemerkbaren Gegensatz. Petra Tschörtner gelingt es mit ihren Beobachtungen, sowohl auf die ausgesprochen sparsamen und phantasielosen Bedingungen aufmerksam zu machen als auch Ausgeliefertsein und Anspruchslosigkeit der Alten zu zeigen. Sachlich und scheinbar kühl folgt die Kamera der Aufforderung einer Schwester an eine Frau, doch mal einen Blick über den Balkon zu werfen, und prallt auf die gegenüberliegende nüchterne Neubaufassade. Solche ernüchternden optischen Eindrücke werden lange festgehalten, zum Beispiel in dem Schwenk innerhalb des Neubaugebiets, der so lange anhält, wie das Geräusch des darüber hinwegfliegenden Flugzeugs nachhallt. Dahinter stehen die Fragen der jungen Regisseurin: Wo bleiben in dieser Welt die Alten? Und wie ist es überhaupt möglich, ihre Lebenszeichen wahrzunehmen? – Wie lebendig sie sind, woher sie eigentlich kommen und welche Probleme sie dabei haben, die Erinnerungen an ein ganzes Leben in ein karges Zimmerchen mitzunehmen, das sie wohlmöglich auch noch mit einem fremden Menschen teilen müssen, das zeigt der Film sehr genau und rüttelt damit an unserem Bewußtsein, unserer Fähigkeit, das ganze Leben zu bedenken – bis hin zum Tod, der auch dazu gehört.

Dr. Beate Schönfeldt, Progress-Pressebulletin Nr. 5/1990

SCHNELLES GLÜCK

Der Film macht den Zuschauer mit den Vorgängen in der Totalisatorhalle der Berliner Rennbahn Karlshorst bekannt. Rennbahngeschehen und vor allem das Wettspielmilieu, gezeigt an Situationen und Gesichtern, welche Motivationen, Emotionen und vor allem auch die Suche nach dem „Schnellen Glück“ zum Ausdruck bringen, lassen Impressionen eines solchen Tages, mit all seiner sozialen Kommunikation nacherlebbar werden. Dazu in Beziehung gesetzt wird der Lebensbericht der Rentnerin Herta Rogau, die seit vielen Jahren an den Renntagen in der Totalisatorhalle am Wettannahmeschalter sitzt und Wetten entgegennimmt.

Progress-Pressebulletin, Nr. 5/1989

DAS FREIE ORCHESTER

„Das Freie Orchester“ ist eine Amateurband, in der junge Leute aus verschiedenen Berufen musizieren. – „Wir versuchen, verschiedene musikalische Bereiche in unsere Musik einzubeziehen. Improvisierte Elemente spielen eine besondere, aber keine ausschließliche Rolle. Bei der starren Trennung der Bereiche hätten wir an der Musik keinen Spaß mehr. Wir halten es für wichtig, ständig aufnahmebereit zu sein“. (Das Freie Orchester)

Der Film ist ein origineller Beitrag in der Reihe kurzer Beiprogrammfilme des Dokumentarfilmstudios, die sich mit ihren Sujets aus der Welt moderner Unterhaltungsmusik vor allem an ein jugendliches Publikum wenden. Optische Eindrücke aus der Arbeitswelt der einzelnen Mitglieder der Amateurgruppe „Das Freie Orchester“, akustische Impressionen, die sich zu einer Klangcollage verdichten, decken die Wurzeln der improvisierten Musik auf, die der Zuschauer zum Schluß des Films kennenlernt. Mit spezifischen Mitteln wird hier der Zusammenhang von sozialem Alltag und moderner Musik sichtbar gemacht. Satirische und groteske Elemente erhöhen den Unterhaltungswert des Films. Es werden sympathische junge Leute vorgestellt, denen es durch eine aktive Lebenshaltung gelingt, Bedingungen und Erscheinungen ihrer Arbeit künstlerisch umzusetzen.

Progress-Pressebulletin, Nr. 4/1989

Quelle der filmographischen Angaben:
Unsere alten Tage: Progress-Pressebulletin Nr. 5/1990 (dort Filmlänge mit 50 Min., 1364 m angegeben). Der Originalabspann nennt, ohne Funktionszuordnungen: Wolfgang Hirschke, Peter Jendretzky, Heiko Koinzer, Michael Loewenberg, Ronald Gohlke, Ulrich Fengler, Andreas Dahms, Martin Engelhardt, Jochen Wisotzki, Angela Wendt, Michael Lösche, Petra Tschörtner. http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A0057FI&qpn=0 (besucht am 25.4.2018, dort auch Filmlänge entnommen) nennt: Regie: Petra Tschörtner. Drehbuch: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki. Kamera: Michael Lösche. Schnitt: Angela Wendt. Dramaturg: Jochen Wisotzki.
Schnelles Glück: Progress-Pressebulletin Nr. 5/1989 (dort fälschlich als Farbfilm bezeichnet). Der Originalabspann nennt, ohne Funktionszuordnungen: Heiko Koinzer, Johanna Jürschik, Ullrich [!] Fengler, Henner Golz, Christian Johannsen, Jürgen Hofmann [!], Jochen Wisotzki, Petra Tschörtner. http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A00520R&qpn=0 (besucht am 25.4.2018) nennt: Regie: Petra Tschörtner. Drehbuch: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki. Kamera: Jürgen Hoffmann. Schnitt: Johanna Jürschik. Ton: Ulrich Fengler, Henner Golz. Dramaturg: Jochen Wisotzki.
Das Freie Orchester: Progress-Pressebulletin Nr. 4/1989 (dort Filmlänge fälschlich mit 10 Min., 550 m angegeben). Der Originalabspann nennt, ohne Funktionszuordnungen: Heiko Koinzer, Wolfgang Hirschke, Johanna Jürschik, Angelika Arnold, Ulrich Fengler, Henner Golz, Peter Mansee, Hans-Christian Johannsen, Michael Lösche, Jürgen Hofmann [!], Jochen Wisotzki, Petra Tschörtner. http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A002Q5J&qpn=0 (besucht am 24.4.2018, dort auch Filmlänge entnommen) nennt: Regie: Petra Tschörtner. Drehbuch: Petra Tschörtner, Jochen Wisotzki. Kamera: Jürgen Hoffmann, Michael Lösche. Schnitt: Angelika Arnold, Johanna Jürschik. Ton: Ulrich Fengler, Henner Golz. Dramaturg: Jochen Wisotzki. Personen, primär: Gui Gust, Bärbel Rossow, Carsten Spindler, Jörg Thomasis, Dieter Zobel.
Die Anlaufdaten wurden den oben genannten Seiten von www.defa-stiftung.de entnommen.

Bilder: DEFA-Stiftung/Michael Lösche.