Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Juli 2015

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 9.-15. Juli 2015 um 18 Uhr (am 13. in Anwesenheit von Joost Renders und zahlreicher Darsteller) lief



Herzlutschen

D 2002-2005 – 107 Min. – DV (1:1,33) – Farbe
Regie, Buch, Kamera: Joost Renders. Kamera Nachtaufnahmen, Schnitt: Ina Klee. Ton: Matthias Schubert, Martin Klastersky. Soundtrack: backdoorpilot, aufgenommen und produziert von Lars Dunst, außer „Mijn liefste“ von kollaborea, „Saphees und Itars Lied“ von Zadoc, „Easy list“ von herrein, „Franks größter Hit“ von Luzibär. Schauspiel Coaching: Claudia Wyzniewski. Maske Karla: Judith Baschin. Kostüme: bei Humana gekauft. Kostüm Saphee: Arché. Catering: bei Lidl gekauft.
Darsteller: Heidrun Turina, Dirk Richard Heidinger, Agnes Friedrich, Manfred Wilhelm, Ana Filipovic, Oliver Raddatz, Anne Wuchholdt, Jule Kiesner, Kim Pfeiffer, Maximilian Löser-Hügel, Peer Fischer, Leonora Hendrich, Franz Braunshausen, Ilka Hügel, Marie Albatis, Haik Liebreich, Mike Adler, Jörg Brütt, Linda Becker, Stefan Simmler, Nuri Ilhan, Claudia Wyzniewski, Nadine Buchet, Jacqueline Jacob, Alex Petrovic, Dietmar Nieder, Martin Klastersky, Jean Claude Poyet, Uta Bonz, Katja Bienert, Walter Theesen, Johnny Bottrop.
Vielen Dank an Christiane Karlauf (ZBF Berlin), Vinnie Caimano, New Berlin Film Academy, Herr Pötzsch, Tiefbauamt Friedrichshain, Bio de Janeiro, Karuna e.V., Kietzblume, Pi Bär, Kobayaschi, Meister Jacobs, Leander, RAW Tempel, Rob Kaufmann, Klaus, Jessica Proll e.V., Chris, Arché, Sybille Hahn, Boxion, Carmen Reiz, Jan Peter Schäfermeier, Olaf John, Tim Straub, Marin Turina, Habib Jawadi, Thomas Stüwe, Alexander Lauber, Table17/Tisch17, Nicole Leon, Markus Hofmann, Joachim Ofner, Janie J. Jones, Harry Rag, Jürgen Teipel und allen in den Straßen Berlin-Friedrichshains, die zufällig ins Bild geraten sind.
too much too soon – in Erinnerung an Jasper Michahelles (1963-2002), Wolfgang Klebe (1952-2003), Joe Strummer (1952-2002).
Hey Ho, Let’s go Film, Ina Klee Filmproduktion. Produktion: Joost Renders, Ina Klee.

Frank ist Musiker, aber als Künstler ungefähr so erfolglos wie als Lebenskünstler. Kaum ist sie aus dem heimischen Schwabenländle nach Berlin zurückgekehrt, setzt seine Freundin Tanja ihn vor die Tür. Auch Karla droht die Obdachlosigkeit: Die nicht mehr ganz junge Frau, die mental wie optisch in den Siebzigern hängengeblieben ist, kann ihre Miete nicht zahlen. Sie himmelt Harry, den Don Juan vom örtlichen Bioladen, in dem sie jobbt, an und fällt öfter mal in Ohmacht. Nur wenig helfen kann ihr die Sozialarbeiterin Rosi, die sich um ihre Schweigepflicht so wenig schert wie gelegentlich um ihre Pflegefälle, wenn sie auf diese gerade keine Lust hat. Zudem ist bei ihr im Moment eine alte Freundin und Kollegin zu Besuch, die jetzt in Berkeley lehrt. Karla begegnet Ossi, einem Wessi, der auf der Straße mit einer recht plumpen Masche Frauen anspricht. Frank trifft einen alten Kumpel, der mittlerweile beim „Spiegel“ arbeitet und nach einem verschollenen Nobelpreisträger fahndet, gemeinsam mit einem Pärchen aus dem Kaukasus, das erst „Dschumbrila“ sucht und dann ganz dringend Biobutter. Die Wege all dieser und noch einiger anderer Gestalten kreuzen sich immer – auf dem Wismarplatz, wo die beiden Trinker Ratzo und Izzi den Tag mit „Studentenraten“ verbringen, oder irgendwo anders im Kiez rund um die Boxhagener Straße.

2002 drehte Joost Renders, 1962 geborener Wahl-Berliner aus den Niederlanden und wie seine Figur Frank Ex-Punk, seine abendfüllende Tragikomödie über einen ereignisreichen Sommertag in Friedrichshain, der zugleich eigentlich ganz normal ist: So geht es eben zu in einem Berliner Altbauviertel wie diesem. Oder so ging es zu, bevor auch hier die Gentrifizierung zuschlug und all die eigenwilligen Typen, die in Berlin einen Lebensraum fanden und es bunt und interessant machten, zu verdrängen begann.

Damit zeigt der Film, der erst 2005 fertiggestellt werden konnte und 2006 seine Uraufführung erlebte, ein Berlin, das zu verschwinden droht. Und er zeigt es in einer dem Inhalt angemessenen Form: Vom Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann und Co-Produzenten Renders mit wenig Geld und viel Enthusiasmus gedreht, unperfekt und bissig, als Produkt jenes Stadtquartiers, das er portraitiert und dessen Bewohner er karikiert.

So ist „Herzlutschen“ auch ein besonders schönes Beispiel für die vielen Filme, die in Berlin ganz unabhängig entstehen, ohne Fernseh- und Fördergelder und damit auch ohne die Einflußnahme aller möglichen Gremien. Filme, die jedoch in den Medien, welche ihre Kulturberichterstattung immer mehr reduzieren und immer stärker auf den Mainstream beschränken, kaum mehr Beachtung finden – auch dies eine bezeichnende Entwicklung der letzten Jahre.

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Weitere Informationen hier, hier und hier.

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J.G.

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Quelle der filmographischen Angaben: Originalabspann.

Bilder: Hey Ho, Let’s go Film/Ina Klee Filmproduktion.