Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats März 2022

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 14.-16. März 2022 jeweils um 18 Uhr lief


Rote Liebe

BRD 1980-1982 – 80 Min. (872 m) – 16 mm (1:1,33) – Farbe

Regie, Buch, Schnitt: Rosa von Praunheim. Nach einer Novelle von Alexandra Kollontai. Kamera: Mike Kuchar, Rosa von Praunheim, Michael Oblowitz, Wolfgang Pilgrimm, Bernhard Stampfer. Ton: Michael Schäfer. Regieassistenz: Anke Rixa Hansen, Dorothee von Meding, Ulrike Maares, Bert Schmidt. Musik: Ideal, DIN A Testbild, Jakob Lichtman. Produktionsleitung: Bernhard Stampfer, Birgit Lelek. Herstellungsleitung: Renée Gundelach. Ausstattung: Uli Bergfelder, Peter Fahrin, Fritz Mikesch.

Darsteller: Sascha Hammer (Wassilissa), Mark Eins (Wladimir), Helga Goetze, Olga Demetriescu (Alexandra Kollontai), Rose Hammer, Bettina Sukroff, Barbara Gould, Tu Tu, Sarah Pfeiffer.

Produktion: Rosa von Praunheim.

Erstaufführung: 21. Februar 1982, Berlin, Delphi (Internationale Filmfestspiele, Internationales Forum des Jungen Films). (Die Erstaufführung fand am 21. Februar 1982 um 0.00 Uhr statt, also im Festivalprogramm des 20. Februar 1982.)

Kinostart: 21. Februar 1982.

Erstverleih: Basis.


Ende der siebziger Jahre wollte Rosa von Praunheim einen Film nach einer Novelle der russischen Revolutionärin, Diplomatin und Schriftstellerin Alexandra Kollontai drehen, mit dem für seine Verhältnisse ungewöhnlich hohen Budget von rund einer Million Mark. Das Ergebnis war jedoch auch in den Augen des Filmemachers völlig verunglückt.

Schließlich kürzte er die Adaption der melodramatischen Liebes- und Eifersuchtsgeschichte unter Revolutionären in der frühen Sowjetzeit von 92 auf 35 Minuten und ergänzte sie um Ausschnitte aus einem dreistündigen Videointerview, welches er mit der eigenwilligen Sexaktivistin und Künstlerin Helga Goetze geführt hatte: Goetze, Frau eines Prokuristen der Deutschen Bank und Mutter von sieben Kindern, hatte – nach ersten sexuellen Ausbruchsversuchen und einem aufsehenerregenden Fernsehauftritt – ihre Familie verlassen und lebte inzwischen in Kreuzberg, produzierte Gedichte und in den Augen vieler ebenso obszöne Bilder und war durch Stör- und andere Aktionen zu einer Art Original geworden. Wie sie fröhlich, sehr lebendig und unterhaltsam von den sexuellen Erlebnissen erzählte, welche sie – in Verbindung mit gewagten Thesen und Theorien – für sich und andere einforderte (ihr vielleicht bekanntester Slogan war „Ficken für den Frieden“), wirkte um so provokanter, als sie keineswegs dem gängigen Schönheitsideal entsprach.

Gerade deshalb erscheint sie heute, fast genau vierzig Jahre nachdem diese zweite Fassung von „Rote Liebe“ im Berlinale-Forum 1982 ihre Uraufführung erlebte, noch immer als im besten Sinne schamlose Person und als Zumutung für manche Zeitgenossen: Wurde die reife Helga Goetze doch von der in den späten sechziger und den siebziger Jahren beliebten Vorstellung geprägt, viele gesellschaftliche Übel wären in einer fehlerhaften Erziehung, gesellschaftlichen Konditionierung und daraus folgenden psychischen und sexuellen Problemen zu suchen, während heute eher als Ideal gilt, vor allem an seinem Äußeren zu arbeiten und an seinem Inneren allenfalls, um sich „selbst zu optimieren“ und so die Anforderungen der Gesellschaft und des Marktes besser erfüllen zu können.

Wir ermöglichen die Wiederbegegnung mit oder Entdeckung von Helga Goetze
im März, dem Monat des Internationalen Frauentags und würdigen damit den
100. Geburtstag dieser außergewöhnlichen Frau (den sie am 12. März hätte feiern können) ebenso wie den 150. Geburtstag von Alexandra Kollontai (am 31. März),
die am 9. März vor siebzig Jahren verstarb.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier.






Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge, Filmformat, Erstverleih: Fimbeobachter Nr. 19, Oktober. Rollennamen: ZDF-Pressedienst (Nr. 44/1991) für den 30.10.1991. Dort außerdem als Darsteller genannt: Eddie Constantine. Kinostart: Tip Nr. 4/1982. Alle anderen Angaben: Original-
vor- bzw. -abspann.
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Bilder: Missing Films/Rosa von Praunheim.