Rarität des Monats Oktober 2023
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 9.-11. Oktober 2023 jeweils um 18 Uhr (am 9. mit einer Einführung und mit einem Gespräch mit Matl Findel) lief
Alle Zeit der Welt
D 1997 – 93 Min. – 16 mm (1:1,33) – Farbe
Regie: Matl Findel. Buch: Matl Findel, Tamara Staudt. Kamera: Christoph Krauß, Daniel Pöhacker. Schnitt: Isabel Meier, Claudia Weidenbach. Mischung: Martin Steyer. 2. Kamera: Ralph Netzer. Licht: Christoph Dehmel, Matthias Ganghofer, Josch Düll. Ton: Georg Maas, Matthias Leusink. Chorleiter: Karol Borsuk. Geräusche: Peter Roigk. Ausstattung: Alexander Manasse, Attila Saygel, Sylvie Zanger. Kostüm: Simone Simon, Dorothee Adenstedt. Maske: Monika Münnich. Kopierwerk: Film- und Videoprint. Titel: Thomas Wilk. Hundetrainerin: Roswitha Henze-Wisniewski. Catering: Rent a cook. Musik: Harald Kündgen (Marimba), Christian Kögel (Gitarre). Übersetzungen: Karl Hoffmann. Standphotos: Thomas Seufert. Fahrer: Klaus Drewitz. Script: Kristina Fodor. Set-Aufnahmeleitung: Sassan Yassini. Aufnahmeleitung: Michael Weber, Melanie Asendorf. Casting: Hanna Sibilski. Regieassistenz: Katja Pratschke. Redaktion Das kleine Fernsehspiel: Annedore von Donop. Kunstwerke inspiriert von Andy Goldsworthy. Volkslieder gesungen von den „Drei Marzenas“ & Radka, bearbeitet von Karol Borsuk.
Darsteller: Jockel Tschiersch (Anton), Matthew Burton (Matthew), Ruth Vaughn (Lilith), Josepha van der Schoot (Toost), Ivana Broukova (Radka), Feldmann (Hund), Christoph Krauß (Copilot), Günther Hornberger (Hausmeister), Bernd Ludwig (Arzt), Peter Lewan (Chefgärtner), Carsten Sievers, Manfred Maas, Rainer Wieczorek (Hilfsgärtner), Gracjan Sibilski (Herbergsvater), Nyamtsooj Natsagdorj (Botschafter), Lutz Glesczinsky (Eishockeytrainer), Thomas Jahn (verwundeter Eishockeyspieler), Horst Schümann (Mannschaftsarzt), Frank Behnke (Masseur), Thomas Schmuckert (Mann mit Dogge), Kilian Neugebauer (Bub vor Taxi/am Brunnen), Karolina Borsuk, Gabriela Brzozowski, Dorota Szczepanski (3 Marzenas), Salih Aygün, Cihan Özkan, Günnur Portokal, Mustafa Portokal (Kinder im Park bei Toost), Mikael Honesseau (Bären-Experte), Horst Klatt (Musikant in der U-Bahn), Robert Nuber, Sotirios Kalaitzis, Renato Jannino, Peter Gößwein, Clemens Schwender (Freunde unerhörter Musik), Romy Klose (Mädchen auf Inline-Skates), Regula Kukula (Evelyn), Rainer Laupichler (Evelyns Neuer), Mike Bols (Mann auf Balkon), Zbigniew Papies (1. Blinder), Adolfo Assor (2. Blinder), Martin Theo Krieger (Spielzeugdirektor), Simone Spörl (Reiseleiterin), Kuniko Yamashita, Yumiko Aiga, Masko Iso, Chiemi Uchida, Noburu Aiga, Kazuyo Yamamoto, Kazunobu Fujita, Nobuo Yamamura, Yuji Kimura, Sumio Suga, Ryaichi Nishimura (japanische Reisegruppe), Fethi Boler (Busfahrer), Janusz Cichocki (Lokomotivführer), Chiu-Ming Lo (Stewardess), Alexander Grünberg (Junge im Flughafen), Bozena Baranowska, Gilles Gavois (Eltern des Jungen), Helga Müller, Fritz Moebius, Kristiana Elig, Kurt Josef Bretz, Erika Grothe, Johanna Penski, Thomas Rethwisch (Passanten im Schnee), Michael Janasik (Feuerwehrmann), Peter Neubauer, Peter Klingberg (Sanitäter) u.v.a.
Eine Produktion der Schramm Film Koerner & Weber im Auftrag des ZDF.
Produktionsleitung: Florian Koerner von Gustorf.
Uraufführung: Oktober 1997, Hof (Internationale Filmtage).
Erstausstrahlung: 9. November 1997, 23.15 Uhr, ZDF.
Kinostart: 11. Dezember 1997.
„... spielt in Berlin, wo die Leute von weit her kommen und alle durcheinander reden. Der Film hat fünf Hauptfiguren, einen Hund und zwei bis drei Liebesgeschichten.“
So wurde Matl Findels poetische Tragikomödie vorgestellt, als sie 1997 in die Kinos kam.
Das genauere Geschehen: Wegen eines unheilbaren Gehirntumors hat ein schwäbischer Eishockeytorwart nur noch wenige Monate zu leben hat und macht sich dementsprechend Gedanken über das Dasein und wie er den Rest seiner Zeit verbringen möchte. Ganz andere Sorgen plagen einen aus Australien stammenden Airlinepiloten: Als er nach Hause kommt, hat ihn seine Freundin verlassen. In der Hoffnung darauf, sie könnte sich besinnen, versucht er, ihr Café weiterzuführen. Dabei hilft ihm eine Niederländerin, die in der freien Natur vergängliche Kunstwerke aus Laub und Eiskristallen schafft, wobei sie dem Eishockeytorwart begegnet. Der Pilot trifft außerdem eine Frau aus London, die in Berlin eigentlich nur Zwischenstation macht auf ihrer Reise in die Wüste Gobi, wo sie den Brunftgesang einer bestimmten Braunbärensorte einfangen möchte, aber feststellen muß, daß sie für ein mongolisches Visum eine Einladung benötigt – und wer sollte sie in der Wüste einladen?
Weil sich alles zusammenfügt, wenn es so sein soll, kann der Pilot ihr helfen. Und ihm eine tschechische Sängerin, die auch der Eishockeytorwart kennengelernt hat und die schließlich zusammen mit anderen Sängerinnen einer japanischen Reisegruppe einen anregenden Abend in dem Café beschert, das den Touristen als typische Berliner Kneipe präsentiert wird – mit Raclette und polnischen Protestliedern. Ein Ende bereitet der Veranstaltung erst der eigenwillige Hund des Piloten, ein Tier aus Tibet, das lauter Buddhistenklischees erfüllt, sehr weise zu sein scheint und deshalb unglaublich gelassen ist.
Genau so blickt auch der 1961 geborene Matl Findel in seinem ersten abendfüllenden Film auf die Welt und das Leben, das abläuft, voller poetischer, aber auch skurriler Momente, und manchmal kaum zu bemerken im Hintergrund oder am Rand einer Szene.
Berlin (in diesem Falle vornehmlich Kreuzberg, was man aber auch nur bei genauem Hinsehen erkennt) erscheint in „Alle Zeit der Welt“ als befruchtender Treffpunkt von Menschen aus verschiedenen Ländern – wobei die Eingeborenen bezeichnenderweise höchstens mal kurz am Rande auftauchen und eigentlich keine Rolle spielen.
Da sich die Alltagsästhetik in den letzten dreißig Jahren nur noch leicht verändert hat, fällt einem eigentlich nur anhand eines Details auf, daß dieser Film nicht aus jüngster Zeit ist: Mitte der Neunziger haben noch nicht weite Teile der Menschheit ständig auf ein Wisch-Wisch-Gerät gestarrt und von diesem ihr Leben und ihr Denken bestimmen lassen, sondern noch direkt in die Welt geblickt, diese beobachtet (statt nur abphotographiert) und sich ihre Gedanken darüber gemacht. Und bei genauerem Nachdenken fragt man sich auch, ob im heutigen Berlin der aggressiven Ich-ich-ich-Gesellschaft, in der sich alle gern für Opfer halten und dementsprechend ständig Extrawürste für sich reklamieren, solch ein entspannter Film überhaupt noch möglich wäre.
Wir zeigen „Alle Zeit der Welt“ in der frisch digitalisierten und dabei natürlich restaurierten Fassung.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen
.
Mehr zu diesem Film hier.
Quelle der filmographischen Angaben: Produktionsjahr, Länge, Filmformat: Presseheft Schramm Film Koerner & Weber. Bildformat, Uraufführung, Kinostart: https://www.filmportal.de/film/alle-zeit-der-welt_898c0aefd6144605b2451976b65f1c3a (besucht am 26.9.2023). Erstausstrahlung: ZDF-Programm 46/1997. Alle anderen Angaben: Originalabspann.
Photos: Schramm-Film.