Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Oktober 2015

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 8.-10. und vom 12.-14. Oktober 2015 um 18 Uhr (am 12. in Anwesenheit von Lothar Lambert und Ulrike S. alias Schirm) lief




Die Liebeswüste

BRD 1986 – 61 Min. – 16 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie, Buch, Kamera, Ton, Schnitt, Produktion: Lothar Lambert. Kamera in der Rahmenhandlung: Eberhard Geick. Ton in der Rahmenhandlung und Mischung: Michael Eiler.
Darsteller: Dagmar Beiersdorf, Albert Heins, Doreen Heins, Michael Hülsmann, Abbas Kepekli, Lothar Lambert, Jessica Lanée, Hans Marquardt, Friederike Menche, Stefan Menche, Dorothea Moritz, Erika Rabau, Ulrike S., Dieter Schidor, Semra Uysallar.

In ihrer Einsamkeit, aber auch ihrer Egozentrik gefangene Menschen auf der verzweifelten Suche nach Nähe, Liebe, Sex, die beim Versuch, ihre Sehnsucht zu stillen, auch rabiat werden – und dennoch nicht bekommen, was sie wollen: Das gab’s doch schon bei Fassbinder? Ja, aber Lothar Lambert ging in seinen West-Berliner Undergroundfilmen der achtziger Jahre noch einen Schritt weiter, zeigte drastischer, düsterer und vor allem ungekünstelter das Elend mit den Gefühlen und die Liebes- und Kommunikationsunfähigkeit zwischen den Menschen. Den Höhe- und Endpunkt dieser Schaffensphase, zu der Arbeiten wie „Tiergarten“, „Die Alptraumfrau“, „Fucking City“ und „Fräulein Berlin“ gehören, stellt „Die Liebeswüste“ dar.

1986 entstanden, war dies zugleich der letzte Lambert-Film mit Ulrike S. in einer Hauptrolle. Danach wich in Lamberts Low-Budget-Produktionen die Tragik zunehmend der Tragikomik, gab es nicht mehr in jedem Film Tote, traten an die Stelle von Ein-Mann-Produktionen Zwei-Mann-Produktionen, bei denen der Umgang mit Bild und Ton weniger roh war.

Doch nicht nur aus filmhistorischen Gründen ist „Die Liebeswüste“ eine der interessantesten Arbeiten Lothar Lamberts: Da das Kopierwerk einen Großteil des ursprünglich geplanten Films zerstört hatte und ein Nachdreh schon aus finanziellen Gründen unmöglich war, ersann Lambert eine einfach-geniale Rahmenhandlung. In dieser zeigt er Dagmar Beiersdorf – über gut zwei Jahrzehnte hinweg seine engste künstlerische Partnerin –, dem befreundeten Produzenten Albert Heins (der gern auch vor der Kamera agierte) und seiner Hauptdarstellerin Ulrike S. am Schneidetisch die Filmreste und diskutiert mit den Dreien über diese Aufnahmen.

So sieht man hier nicht nur die Odyssee einer der geschlossenen Psychiatrie entflohenen stummen Frau durch West-Berlin und die Sehnsüchte, Nöte und bescheidenen Freuden anderer Großstadtneurotiker, die ihren Weg kreuzen. Sondern erfährt auch viel darüber, wie Lamberts Arbeiten damals gesehen, besprochen, angefeindet wurden und wie der Filmemacher darauf reagierte.

Auf diese Weise schuf der König des Berliner Undergroundfilms aus einer prekären Lage heraus eines seiner besten und aufschlußreichsten Werke, das inzwischen zu unrecht fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Zugleich erzählt „Die Liebeswüste“ auch viel über den gesellschaftlichen Wandel in den vergangenen dreißig Jahren: Was seinerzeit noch als ungeheurer Tabubruch und dem Publikum kaum zumutbar galt, dürfte heute nur noch besonders zartbesaitete (und vor allem Internet-unerfahrene) Gemüter erschüttern.

Wir zeigten „Die Liebeswüste“ als Wunschfilm der Hauptdarstellerin Ulrike S. alias Ulrike Schirm, der wir damit nachträglich zum 70. Geburtstag gratulierten.

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Weitere Informationen hier.



Ulrike Schirm (alias Ulrike S.) dazu, weshalb sie sich zu ihrem runden Geburtstag die Aufführung von „Die Liebeswüste“ gewünscht hat

Im Rückblick auf die Achtziger gehört heute „Die Liebeswüste“ zu meinen Lieblingsfilmen aus meiner Schaffensära mit Lothar Lambert.

Der Film verdeutlicht mein heißgeliebtes West-Berlin, so wie es heute kaum noch vorhanden ist. Es werden alte Erinnerungen wach und ich erlebe noch einmal das Wiedersehen mit einigen liebgewonnenen Darstellern, die leider nicht mehr leben. Außerdem war es eine ungewöhnliche Erfahrung, eine Person zu spielen, die den ganzen Film über kein einziges Wort spricht.

Mir fällt in dem Zusammenhang der Schlußsatz von Gena Rowlands in Woody Allens Film „Eine andere Frau“ ein: „Und ich frage mich, ob eine Erinnerung etwas ist, das man besitzt oder verloren hat.“

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J.G.

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Quelle der filmographischen Angaben: Originalvorspann.

Bilder: Lothar Lambert.