Rarität des Monats November 2024
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeden Monat eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Am 4. November 2024 (Montag) um 17.30 Uhr läuft (mit einer Einführung)
Straßenbekanntschaft
D (SBZ) 1947/1948 – 104 Min. (2846 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß
Regie: Peter Pewas. Drehbuch: Artur Pohl. Sozialhygienische Bearbeitung: Dr. Klaus Bloemer. Kamera: Georg Bruckbauer. Musik: Michael Jary. Architekten: Willi Depenau, Franz Koehn. Ton: Günter Bloch. Schnitt: Johanna Meisel.
Darsteller: Gisela Trowe, Alice Treff, Ursula Voss, Siegmar Schneider, Harry Hindemith, Hans Klering, Ursula Friese, Arno Paulsen, Trude Boll, Eduard Wandrey, Ursula Krieg, Herwarth Grosse, Monika Bode, Agnes Windeck, Walter Werner, Werner Pledath, Marlise Ludwig, Arthur Wiesner, Eduard Wenk, Karl Hannemann, Peter Elsholz u.a.
Produktion: DEFA. Produktionsleitung: Robert Leistenschneider.
Uraufführung: 13. April 1948, Berlin, Filmtheater am Friedrichshain.
Erstverleih: Progress.
1947 konnte kaum jemand ahnen, welch nie gekannten Wohlstand die meisten Menschen in Deutschland in den kommenden Jahren erleben sollten. Vielmehr mußten sie davon ausgehen, nach den verheerenden Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs auf Jahrzehnte hinaus in Ruinen und Armut leben zu müssen. Im Angesicht des allgemeinen Elends war der Wunsch um so größer, sich Möglichkeiten zu verschaffen, das Leben wenigstens ein bißchen zu genießen. Schon im Laufe des Kriegs war eine Lockerung der Sitten und Moralvorstellungen beobachtet worden. Dies hatte auch einen Anstieg der Geschlechtskrankheiten zur Folge.
Die Zentralverwaltung für Gesundheit, so etwas wie das Gesundheitsministerium für
die Sowjetische Besatzungszone in Deutschland, initiierte daher 1947 diesen Spielfilm. Der Drehbuchautor Artur Pohl und vor allem der Regisseur Peter Pewas im Bunde mit dem Kameramann Georg Bruckbauer machten aus dem, was als „sozialhygienischer Aufklärungsfilm“ gedacht war, ein beeindruckendes Zeitbild aus dem damaligen Berlin, streckenweise mit optischen Anklängen an den Poetischen Realismus.
In ihrer ersten Rolle vor der Kamera spielte Gisela Trowe eine junge Frau, die auf der Suche nach einem besseren Leben in Schieberkreise gerät und in die Sexarbeit zu rutschen droht. Derweil sie, nachdem sie sich mit ihren Eltern zerstritten hat, mit einem Journalisten zusammenlebt, gibt sie sich während einer Feier einem Kriegsheimkehrer hin, der feststellen mußte, daß seine Frau ihm während seiner langen Abwesenheit untreu war. Auf diese Weise wandert der Syphilliserreger immer weiter.
„Straßenbekanntschaft“ lief auch in Westdeutschland und gilt bis heute als einer der größten Publikumserfolge der DEFA. Dennoch sollte es der einzige abendfüllende Spielfilm bleiben, bei dem Peter Pewas (1904-1984) für dieses Studio Regie führte. Der Berliner, der von der Bildenden Kunst kam, konnte nur drei abendfüllende Filme inszenieren: Sein Erstling „Der verzauberte Tag“ (1943/1944) war aus relativ absurden Gründen in der Nazizeit gar nicht erst herausgekommen. Auch bei der DEFA eckte Pewas, obwohl aus proletarischen Verhältnissen stammend und eher links gesonnen, an. Im Westen gelang es ihm ebenfalls nicht, in der Filmindustrie Fuß zu fassen. Bis auf den Krimi „Viele kamen vorbei“ (1955/1956) blieb sein Wirken auf Werbe-, Industrie- und andere Kurzfilme beschränkt, bis er sich Anfang der siebziger Jahre auf die Malerei zurückzog. Kurz vor seinem Tod erlebte er noch seine Wiederentdeckung: So widmete ihm die Berlinale 1981 eine Hommage, und 1984 erhielt er einen Bundesfilmpreis für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Mehr zu diesem Film hier, hier und hier.
Regisseur (Peter Pewas) und Kameramann
(Georg Bruckbauer) haben ausgezeichnet gearbeitet. Ganze Bildfolgen hinduch überrascht und erfreut immer wieder eine atmosphärische Dichte, wie man sie in besten französischen Filmen findet.
Melis, Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) vom 15. April 1948
Quellen der filmographischen Angaben: Länge, Uraufführung, Erstverleih: https://www.filmportal.de/film/strassenbekanntschaft_d49737c294454e10bce32797d57aa16d (besucht am 29.10.2024). Alle anderen Angaben: Originalvorspann.
Photos: DEFA-Stiftung/Kurt Wunsch.