Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Mai 2017

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 8.-10. Mai 2017 um 18 Uhr (am 8. in Anwesenheit von Dietmar Hochmuth) lief


heute abend und morgen früh

DDR 1979 – 51 Min. (1100 m) – 35 mm (1:1,37) – Schwarzweiß
Regie, Buch: Dietmar Hochmuth. Nach zwei Geschichten von Helga Schubert. Dramaturgie: Christel Gräf. Kamera: Jürgen Lenz. Spezialaufnahmen: Michael Göthe. Bauten: Georg Kranz. Musik: Günther Fischer. Ton: Fritz Sommer. Musikton: Siegbert Schneider. Mischton: Gerhard Ribbeck. Schnitt: Rita Hiller. Maske: Christa Grewald, Kurt Tauchmann. Kostüme: Marianne Schmidt, Charlotte Stulken. Aufnahmeleitung: Paul Lasinski.
Darsteller: Christine Schorn (Zahnärztin), Rolf Hoppe (Er), Trude Bechmann (alte Malerin), Johannes Berger (junger Kriminalbeamter), Lydia Billiet (Frau mittleren Alters), Ali Dala (halbjunger Mann), Otto Emmersleben (Mann am Bahnhof), Peter Grätz (Verkäufer), Berta Gunnoltz (Gemüseverkäuferin), Gisela Gyarmati (Ungarin), Janos Gyarmati (Ungar), Oliver Halaß (Ungar), Heide Hallmann (Gemüseverkäuferin), Kurt Heinicke (alter Wächter), Paul Karpat (Dolmetscher), Mike Lindner (Kind), Hugo Mast (Mann mit der Waage), Roland Mock (junger Mann mit Besen), John Moulson (Ausländer am Zwergenstand), Charlotte Pauly (alte Malerin), Johannes Rannspott (Verkäufer), Hanna Rieger (ältere Mieterin), Barbara Schnitzler (junge Frau), Jan Spitzer (jüngerer Kollege), Mario Turra (Patient), Rainer Zuhrt (Professor).
Wir bedanken uns bei den Mitarbeitern der Stomatologischen Abteilung der Charité. Leitung Prof. Dr. sc. med. R. Zuhrt und bei den Mitarbeiten des Hauses der ungarischen Kultur.
Eine Produktion des DEFA-Studios für Spielfilme, Gruppe „Roter Kreis“. Produktionsleitung: Dorothea Hildebrandt.


Über fünfundzwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch der SED-Diktatur sind alle seinerzeit unerwünschten Filme längst aufgeführt worden – oder? Falsch! Dietmar Hochmuths 1979 entstandener Diplomfilm „heute abend und morgen früh“ hat erst vor kurzem wieder das Licht der Öffentlichkeit erblickt.

Der 1954 geborene Hochmuth (von dem wir bereits „In einem Atem“ gezeigt haben und dessen bekanntestes Werk „Motivsuche“ ist) studierte von 1973 bis 1979 an der Moskauer Filmhochschule WGIK. Seinen Diplomfilm produzierte aber vereinbarungsgemäß die heimische DEFA. Hochmuth wählte als Vorlage zwei Geschichten von Helga Schubert: In der ersten Hälfte des (ursprünglich) einstündigen Films mag eine Charité-Zahnärztin mittleren Alters nach Feierabend nicht gleich nach Hause gehen. Entgegen ihrer Routine streift sie durch die Spandauer Vorstadt und die Markthalle am Alexanderplatz, gerät schließlich in eine Ausstellungseröffnung im Ungarischen Kulturzentrum an der Karl-Liebknecht-Straße, betrachtet überall Menschen bei deren Alltag, bis sie in ihrer Wohnung in der Rathausstraße Licht sieht. Die zweite Hälfte des Films schildert den darauffolgenden (Samstag-) Morgen: Ausschlafen, Plaudern und gemeinsames Frühstück mit dem Gatten, die Rückkehr des Sohnes aus der Schule.

Mit der genauen, melancholischen Alltagsbeobachtung, die keine „große“ Geschichte erzählt und so dem Zuschauer viel Raum für eigene Assoziationen und Interpretationen läßt, stieß Hochmuth auf unerwarteten Widerstand: Der Film wurde, verschiedenen „Rettungsversuchen“ inklusive einer Kürzung um acht Minuten zum Trotz, nicht wie zugesagt im Fernsehen gezeigt, sondern nur in einer einzigen Kopie für Filmclubs zur Verfügung gestellt. Diese wurde Anfang der neunziger Jahre vernichtet, das Negativ ist bis heute verschollen. Erst 2015 fand Hochmuth im Archiv der Moskauer Filmhochschule eine gut erhaltene Kopie ohne russisches Voice-over. Wir zeigen den restaurierten und digitalisierten Film mit der ursprünglichen, erst kürzlich rekonstruierten Musik, die dereinst als erstes der Zensur zum Opfer fiel (ersatzweise versah Günther Fischer die Tonspur mit gefälligen, vor allem weniger melancholischen Klängen), sowie das rund fünfundzwanzigminütige Video „Als es noch nicht hieß ‚Making of’“, das 2016 geführte Interviews mit Christine Schorn, Rolf Hoppe, dem Szenenbildner Georg Kranz und Dietmar Hochmuth vereint.

Fast vierzig Jahre nach seiner Entstehung ist „heute abend und morgen früh“ nicht nur interessant wegen seiner Stadtansichten (darunter Auguststraße, Hackescher Markt und die Gegend um den Fernsehturm), sondern auch weil der Film wirkt wie eine Skizze zu Lothar Warnekes ganz ähnlich gestaltetem Spielfilm „Die Beunruhigung“ (unserer Berlin-Film-Rarität des Monats Februar 2013), der kurz darauf ebenfalls in Schwarzweiß, oft improvisiert wirkend und außerhalb des Ateliers (teils in einer Wohnung in der Rathausstraße) entstand, wiederum nach einer Vorlage von Helga Schubert und mit Christine Schorn in der Hauptrolle.

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu dem Film hier.

Sie haben diese Rarität verpaßt oder möchten sie noch einmal sehen? Zum Beispiel hier können Sie die DVD mit dem Film (und manch Sehenswertem mehr) erwerben.

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J.G.

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Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge in Metern, Darsteller und ihre Rollen: http://www.defa-stiftung.de/DesktopDefault.aspx?TabID=412&FilmID=Q6UJ9A002K4H (besucht am 20.4.2017); dort werden als Titel der Vorlagen „Heute abend und morgen früh“ sowie „Die Ausnahme“ genannt. Filmlänge in Minuten, Film- und Bildformat, Drehzeit: Booklet der DVD-Veröffentlichung. Alle anderen Angaben: Originalabspann.

Bilder: DEFA-Stiftung/Jürgen Lenz.