Rarität des Monats Juni 2025
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeden Monat eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Am 2. Juni 2025 (Montag) um 17.30 Uhr läuft (mit einer Einführung):
Tobby
BRD 1961 – 77 Min. – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß und Farbe
Regie, Drehbuch: Hansjürgen Pohland. Kamera: Wolf Wirth. Schnitt: Christa Pohland. Musik: Manfred Burzlaff. Ton: Jörg Schmidt-Reitwein, Günther Genth. Regieassistenz: Siegfried Hofbauer. Kameraassistenz: Petrus Schloemp, Martin Häussler. Standphotos: Will McBride. Praktikant: Jürgen Jürges. Aufnahmeleitung: Peter Genée. Produktionsassistenz: Ulf Borchert.
Herbert Wagner. Aufnahmeleitung: Christian Urban. Choreographie: Gertrud Steinweg, Jens Keith. DEFA-Photograph: Eduard Neufeld.
Darsteller: Tobias „Tobby“ Fichelscher, Eva Häussler, Manfred Burzlaff, Francis Conrad Charles, Anik Fichelscher, Danny Fichelscher, Ed Fichelscher, Manfred Burzlaff Septett, Firestone Dixieland Jazzband u.a.
Produktion: modern art film. Produzent: Hansjürgen Pohland.
Dreharbeiten: 10. April bis 13. Juni 1961.
Uraufführung: 20. Oktober 1961, Mannheim, Internationale Filmwoche.
Kinostart (überarbeitete und gekürzte Fassung): 27. November 1962, Berlin, Studio (am Lehniner Platz).
In der ersten Hälfte der sechziger Jahre gehörte der Berliner Hansjürgen Pohland (1934-2014) als Regisseur und vor allem als Produzent (unter anderem mit seiner Firma „modern art film“) zu den wichtigsten Figuren des Jungen Deutschen Films, der gerade im Entstehen begriffen war. Wie Pohland wohnte auch der Jazz- und Bluesmusiker Tobias „Tobby“ Fichelscher (1927-1992) damals in der Forbacher Straße in Berlin-Zehlendorf. Aber wohl nicht nur deshalb stellte Pohland einen Musiker in den Mittelpunkt seiner ersten abendfüllenden Produktion: Er war selbst am Konservatorium gewesen und hatte als Jugendlicher eine Band gehabt. Zudem erkannte er in der Geschichte von dem Kreativen, der sich zwischen seiner Kunst und einer kommerziellen Karriere entscheiden muß, seine eigene damalige Situation.
„Tobby“, eine experimentelle Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm, fand auf Festivals Anerkennung, jedoch keinen Verleih. Die Kritiker monierten gern (wie seinerzeit üblich), daß das Experiment nicht sofort und vollständig gelungen war, statt sich über den mutigen Versuch eines jungen Filmemachers zu freuen, neue Wege zu beschreiten – und das auch noch auf volles eigenes finanzielles Risiko. Teils waren die Reaktionen polemisch: „Auf eine Bettszene, frei nach ‚Hiroshima mon amour’, nur wesentlich indezenter, folgt die Nacht mit einer jungen Schauspielerin im Atelier: von oben herab in wechselnden Einstellungen mit ständig veränderten Positionen der beiden aufgenommen, ein zunächst ganz netter optischer Einfall, der sofort wieder bis zum Überdruß einer Manier ausgewalzt wird. Daß die karg bekleidete Frau auch noch äußerst unappetitlich aufgemacht ist, gehört wohl auch wieder zum erstrebten ‚Realismus’.“ (USE., „Film-Dienst“ Nr. 13/1962)
Offenkundig hatte der Film in der spießigen Adenauer-Gesellschaft ebenso einen Nerv getroffen wie sein Titelheld, dessen nicht gerade avantgardistischer Jazz und etwas nonkonformistisches Auftreten auch bereits ausreichten, um die Damenwelt
in Wallung zu versetzen.
Erst in den 2010er Jahren wurde der lange Zeit weitgehend vergessene Streifen wiederentdeckt: Nicht nur als eines der allerersten Werke des Jungen Deutschen Films, sondern auch als nun natürlich nostalgisch umflortes Zeugnis des damaligen Berlin, samt rarer Aufnahmen aus der winzigen (aber ebenfalls bereits Aufsehen erregenden), gern als „Bohème“ bezeichneten Kreuzberger Kunstszene jener Jahre rund um Kurt Mühlenhaupt, Robert Wolfgang Schnell und Günter Bruno Fuchs, die in „Tobby“ auch auftraten. Der Kameramann Wolf Wirth (1928-2005), dessen Arbeit stilprägend für die Frühzeit des Jungen Deutschen Films war (für den „Spiegel“ [Nr. 22/1962] war Wirth „der unbestritten beste Kameramann des deutschen Films“), hielt all dies bei seinem ersten abendfüllenden Film mit den für ihn typischen Stilmitteln fest, stets changierend zwischen dem Einfangen der Wirklichkeit und deren ästhetischer Überhöhung.
Einen weiteren Film zum Thema Bohème im Berlin jener Zeit, „Dämmerung - Ostberliner Bohème der fünfziger Jahre“, präsentieren wir nochmals am Montag, 16. Juni 2025 um 17.30 Uhr im Cosima-Filmtheater.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Mehr zu diesem Film hier und hier.
Pohland hat keine Schauspieler, kein Atelier, keine Kulisse. Alles ist echt. Milieukenner der Berliner Jazzszene sehen ihre verräucherten Milieus original und zuweilen brillant auf die Leinwand transponiert.
Friedrich Luft, Die Welt vom 1. Dezember 1961
Quellen der filmographischen Angaben: https://www.filmportal.de/film/tobby_00a80856f82c4969af193709ed0e96d6 (zuletzt besucht am 21.5.2025).
Photos: Deutsche Kinemathek/Sammlung Pohland.