Rarität des Monats Juni 2019
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 10.-12. Juni 2019 um 18 Uhr lief
Das siebente Jahr
DDR 1968/1969 – 82 Min. (2263 m) – 35 mm (1:1,37) – Schwarzweiß
Regie, Buch: Frank Vogel. Kamera: Roland Gräf. Musik: Peter Rabenalt. Dramaturg: Anne Pfeuffer. Szenenbild: Dieter Adam. Bauausführung: Paul Haak. Kostüme: Helga Scherff. Masken: Otto Banse, Ruth Kwiatkowski. Ton: Günter Dallorso. Schnitt: Helga Krause. Regieassistenz: Rosalinde Schwarzer. Kameraassistenz: Klaus Goldmann. Standphotograph: Waltraud Pathenheimer. Aufnahmeleitung: Dieter Anders, Lutz Wittcke. Außenrequisiteur: Elisabeth Stenzel. Beleuchtungsmeister: Herbert Ikker.
Darsteller: Jessy Rameik (Dr. Barbara Heim), Wolfgang Kieling (Günter Heim), Ulrich Thein (Dr. Manfred Sommer), Monika Gabriel (Margot Sommer), Alfred Müller (Werner Wilfurth), Hanns Anselm Perten (Chef), Günter Naumann (Wölfchen), Erika Dobslaff (Schallplattenverkäuferin), Bettina Mächler (Gabi Heim), Karin Beewen (Schwester Marianne), Manfred Bendieck (Dr. Erhardt), Carl Heinz Choynski (Kellner), Otto Dierichs (Oberarzt Barth), Michael Gerber (Herr Zenke), Gerd Michael Henneberg (1. Oberarzt), Heinz Hupfer, Christl Jährig, Peter Kalisch, Ruth Kommerell, Peter Kupke, Monika Lennartz, Angelika Linse, Hans Lucke, Klaus Piontek, Theresia Wider, Arno Wyzniewski und andere.
Die Ausschnitte aus „Nguyen van Troi“ stellte das Filmstudio Hanoi zur Verfügung.
Der Film entstand mit Unterstützung des Kollektivs der Chirurgischen Klinik der Charité Berlin.
DEFA-Studio für Spielfilme, Künstlerische Arbeitsgruppe „Berlin“. Produktionsleitung: Erich Kühne.
Erstverleih: Progress.
Uraufführung: 28. Februar 1969, Berlin (Kino International).
Mit seinem kulturpolitischen Kahlschlag beendete das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 nicht nur die inhaltlich interessanteste, gesellschaftskritischste Phase der DEFA-Spielfilmproduktion. Während der westdeutsche Film künstlerisch wie kommerziell in seiner tiefsten Krise steckte, hatte sich das DDR-Kino auch ungewöhnlich experimentierfreudig gezeigt und zunehmend modern in der Form des Geschichtenerzählens und der Photographie. Frank Vogel (1929-1999), dessen „Denk bloß nicht, ich heule“ zu den 1965/1966 verbotenen Filmen gehört hatte, demonstrierte 1968 mit „Das siebente Jahr“, daß die Entwicklung zu einem zeitgemäßeren Kino in der DDR von den Dogmatikern nicht ganz totgetrampelt worden war.
Dabei verarbeitete der Filmemacher auch seine eigene Ehekrise – dies aber bemerkenswerterweise aus der Sicht der Frau: Eine junge Herzchirurgin an der Berliner Charité (Jessy Rameik) hadert mit ihrem Beruf und den mit diesem verbundenen Fehlschlägen ebenso wie mit ihrer Ehe. Diese wird, da der Mann (Wolfgang Kieling) ein gefragter Schauspieler ist, auch durch unterschiedliche Arbeitszeiten belastet. Im Alltagsstreß droht nicht zuletzt die kleine Tochter dauernd zu kurz zu kommen. Und dann scheint der Gatte Gefallen zu finden an dem Ehemodell eines Kollegen (Ulrich Thein) seiner Angetrauten, wo die hübsche, verwöhnte junge Gemahlin (Monika Gabriel) sich ganz der Pflege ihres Äußeren und des behaglichen Heims hingibt. Das gesamte Geschehen spielt sich ab in den sieben Tagen vor dem siebenten Hochzeitstag der Chirurgin und des Schauspielers.
Durch die wirklichkeitsnahe Kameraführung von Roland Gräf, der damals noch vor dem Beginn seiner eigenen Regiekarriere stand, die dezenten, gern barockisierenden Jazzklänge von Peter Rabenalt und einer eher elliptischen Erzählweise wirkt der weitgehend außerhalb des Ateliers (unter anderem in der Charité) gedrehte Streifen noch ein halbes Jahrhundert später frisch und modern. Interessant ist er auch, weil er zu den ersten DDR-Spielfilmen gehörte, die thematisierten, zu welcher (Doppel-) Belastung die staatlich angestrebte Emanzipation der Frau häufig führte, und die auf die hohe Scheidungsquote in der DDR reagierten.
„Das siebente Jahr“ war der erste Film, den Wolfgang Kieling drehte, nachdem er im März 1968 mit einigem Getöse zum zweiten Mal in die DDR übergesiedelt war. Die gegenseitige Zuneigung zwischen dem Star und dem SED-Staat flaute bald ab: Anfang 1971 kehrte Kieling abermals in den von ihm geschmähten Westen zurück, wo er seine Karriere erstaunlicherweise nahtlos fortsetzen konnte. Monika Gabriel war inzwischen seine Frau geworden und folgte ihm.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Mehr zu dem Film hier, hier und hier.
Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge, Rollennamen ab Karin Beewen: https://www.defa-stiftung.de/filme/filmsuche/das-siebente-jahr/ (besucht am 25.5.2019). Uraufführung: Berliner Zeitung vom 23.2.1969. Alle anderen Angaben: Kino DDR Nr. 2/1969 (dort Filmlänge angegeben mit 2665 m, Waltraut Pathenheimer geschrieben „Waltraud“).
Bilder: DEFA-Stiftung/Waltraut Pathenheimer.