Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Januar 2024

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeden Monat eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Am Montag, 8. Januar 2024 um 17.30 Uhr lief (mit einer Einführung)



Nasser Asphalt

BRD 1958 – 88 Min. (2423 m) – 35 mm (1:1,66) – Schwarzweiß

Regie: Frank Wisbar. Idee: Will Tremper. Drehbuch: Will Tremper, Frank Wisbar. Bild: Helmuth Ashley. Kameraführung: Franz Lederle. Musik und musikalische Leitung: Hans-Martin Majewski. Regieassistenz: Wieland Liebske. Aufnahmeleitung: Heinz Karchow, Peter Homfeld. Schnitt: Klaus Duden­höfer. Ton: Hans Ebel. Bauten: Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker.

Darsteller: Horst Buchholz (Greg Bachmann), Martin Held (Cesar Boyd), Maria Per­schy (Bettina), Gert Fröbe (Jupp), Heinz Reincke (der Blinde), Inge Meysel (Gustl), Peter Capell (Donnagan), Renate Schacht (Wanda), Richard Münch (Dr. Wolf), Ludwig Linkmann (Tanek), Aranka Jaenke (Frau Adorf), Nikolai Baschkoff (Cepinek), Wolf Martini, Leni Schulz, Marlene Riphahn.

Eine Wenzel-Lüdecke-Produktion der Inter West Film GmbH Berlin. Produktions­leitung: Gert Weber.

Hergestellt im Real-Film Studio, Hamburg.

Erstverleih: Europa-Filmverleih.

Uraufführung: 3. April 1958, Hamburg, Die Barke.


Wie die gesamte Reihe im Juni 2012, beginnt Berlin-Film-Katalog auch die Präsen­tation von Berlin-Film-Raritäten an seinem neuen Spielort Cosima-Filmtheater mit einer von Will Tremper geschriebenen Wenzel-Lüdecke-Produktion, in der der junge Horst Buchholz die männliche Hauptrolle spielt:

Was heute als „Fake News“ ein großes Thema ist, hieß früher „Zeitungs­ente“. Eine solche sorgte 1951 für besondere Aufregung: der Bericht über die „Bunkermenschen von Gdingen“, deutsche Soldaten, die in der Nähe der Ost­seestadt bei Kriegsende in einem großen Versorgungsbunker verschüttet worden und erst nach sechs Jahren wieder an die Oberfläche gelangt wären. (Mehr dazu bspw. hier.)

Will Tremper entsann sich dieser Geschichte (die – so berichtete er – sein damaliger Chef und Lehrmeister, der Starjournalist Curt Riess, vor seinen Augen erfunden hätte), als er kurzfristig einen Filmstoff für einen Horst-Buchholz-Film liefern sollte: „Nasser Asphalt“ war dann, nach „Die Halbstarken“ und „End­station Liebe“, die dritte Produktion von Wenzel Lüdecke mit seinem jun­gen Pro­tegé Buchholz sowie nach einem Drehbuch von Will Tremper.

Von den drei Filmen ist dies der konventionellste und Tremper-untypisch­ste (wofür der Hollywood-Heimkehrer Frank Wisbar gesorgt haben dürfte, der offen­bar, nicht nur auf dem Regiestuhl saß, sondern auch starken Einfluß auf das Drehbuch genommen hatte), aber auch jene mit dem größten Staraufgebot: Neben Buchholz agierten hier Martin Held, Gert Frö­be, Heinz Reincke; Inge Meysel stand damals noch kurz davor, ganz groß herauszukommen und spielte daher nur eine eher unbedeutende Nebenrolle. Die junge Maria Perschy als Buchholz' Filmpartnerin schaffte es kurz darauf ebenso wie er nach Hollywood.

Tremper machte aus seiner autobiographischen Geschichte, ganz dem Zeitgeist der späten Fünfziger entsprechend, auch einen Generationenkonflikt zwischen dem eta­blierten, international operierenden Starjournalisten und dem redlichen Nachwuchs­au­tor, der erkennen muß, wie moralisch verkommen sein Lehr­mei­ster ist. Auch Trem­per hatte sich, als „Nasser Asphalt“ 1958 entstand, bereits von Curt Riess getrennt, war gerade dabei, selbst ein Starjournalist zu wer­den (unter anderem mit der über ein Jahr lang laufenden „Stern“-Serie „Deutschland, deine Sternchen“) und inszenierte und produzierte ab 1960 selbst Filme („Flucht nach Berlin“, „Die endlose Nacht“, „Play­girl“). Daß (und wie) er die Affäre zu einem Film ver­arbeitet hatte, soll Riess ihm nicht übelgenommen haben. Tremper erinnerte sich 1990: „Der war noch stolz drauf!“


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.




Will Tremper erinnert sich (1990)

Will Tremper: […] Ende ’57 bekam ich dann einen Anruf von Wenzel [Lüdecke]: „Kannst du sofort nach Kampen kommen?“ Dort saßen an einem verregneten Sonntag der Chefdramaturg vom Europa-Filmverleih, Heinz Dietrich, der General­direktor und noch ein paar Typen zusammen und wollten von dem Erfolgsteam von ENDSTATION LIEBE und DIE HALBSTARKEN einen dritten Film haben. Der sollte schon 1,1 Millionen kosten, also von Film zu Film wurde es teurer und schlechter. Sie zeigten mir stolz einen Werbeprospekt vom Europa-Filmverleih, da stand schon drin: „NASSER ASPHALT mit Horst Buchholz, ein Film von dem Erfolgsteam Soundso, Inhalt: Junger Mann rutscht auf dem Großstadtpflaster aus und fängt sich wieder.“ Der Walter Koppel, dem der Verleih gehörte [und auch, gemeinsam mit Gyula Trebitsch, die Real-Film samt ihrer Studios in Hamburg-Tonndorf], machte neben seinen großen Erfolgsfilmen wie Hauptmann von Köpenick, Des Teufels General eine Menge von Filmen, die alle nicht gingen, deren Titel er selbst erfunden hatte und die immer aus zwei Worten bestanden: „Tolle Nacht“, „Heißer Sommer“, „Lauer Frühling“ oder eben NASSER ASPHALT. – Ob mir zu dieser Inhaltsbeschreibung eine Geschichte einfallen würde? In meiner Not habe ich mich erinnert an die Geschichte, die ich mit Curt Riess erlebt hatte, der vor meinen Augen die „Bunker­menschen von Gdingen“ erfunden hatte; und wie ich erst später dahinterkam, daß das alles nicht stimmte. Ich schrieb also auf der Stelle drei Seiten, worauf sie alle sehr begeistert waren, aber Tressler drehte in Wien Noch minderjährig, der fiel also aus. Frank Wisbar wurde offeriert. Der sagte, bevor er überhaupt meine drei Seiten zu Ende gelesen hatte: „Da müssen wir zusammenarbeiten am Drehbuch!“ Gelernt habe ich überhaupt nichts bei ihm. Aber Wisbar war ein begnadeter Geschichtenerzähler! Und damit kann man mich immer fangen. Also haben wir zusammen das Drehbuch gemacht, das heißt, ich hab geschrieben und er hat  gesoffen und Geschichten erzählt. Und dann hat er es leider auch inszeniert, nach Hollywood-Stilregeln: Ein Master Shot, endlos lang, ein Schwenk – das war der Film, der am meisten gekostet hat und weniger einspielte als die beiden davor. […]
Es ist meine Geschichte, natürlich ein bißchen dämonisiert. Martin Held ist Curt Riess und ich bin Horst Buchholz. Ich habe sowas erlebt, 1951.

Frage: Hat Ihnen Riess übelgenommen, daß Sie die Geschichte so verbraten haben?

Tremper: Da kennen Sie Riess aber schlecht! Der war noch stolz drauf!

Aus: „Ich sehe etwas und wir fangen sofort an zu drehen.“ – Interview Will Tremper, in: Jan Gympel (Red.): Will Tremper – Filme eines Journalisten, Freunde der Deut­schen Kinemathek („Kinemathek“, Heft 80), Berlin 1993, S. 23f.



Quellen der filmographischen Angaben: Länge, Film- und Bildformat, Rollennamen: https://www.filmportal.de/film/nasser-asphalt_be35a832600b43c090f58a69ae7441b5 (besucht am 19.12.2023). Uraufführung: Film-Echo Nr. 29/30 vom 13. April 1958. Alle anderen Angaben: Originalvorspann.

Photos: DFF.