Rarität des Monats Januar 2020
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 13.-15. Januar 2020 um 18 Uhr (am 13. in Anwesenheit von Dietmar Hochmuth und mit seinem halbstündigen Dokumentarfilm „Motivsuche – Schlußklappe ’95“) lief
Motivsuche
DDR 1989/1990 – 111 Min. (3047 m) – 35 mm (1:1,37) – Farbe
Regie, Drehbuch: Dietmar Hochmuth. Szenarium: Henry Schneider. Dramaturgie: Andreas Scheinert. Kamera: Dieter Chill. Steadicam: Peter Grätz, Jürgen Kagermann. Kameraassistenz: Wolfgang Bangemann, Dietram Kleist u.a. Szenenbild: Solvejg Paschkowski. Bauausführung: Lothar Bunge. Kostüme: Inken Gusner, Heike Krause. Masken: Brigitte Welzel, Inge Pfenniger, Wolfgang Möwis. Ton: Hans-Henning Thölert. Tonmischung: Konrad Walle. Schnitt: Sabine Schmager. Ateliersekretärin: Anke Schwarz. Requisiten: Jürgen Janitz, Jutta Ludwig. Beleuchtung: Peter Meister. Regieassistenz: Dietmar Haiduk. Aufnahmeleitung: Jürgen Haseloff, Mischa Klemm, Rudi Korte, Ellen Götze.
Darsteller: Peter Zimmermann (Rüdiger Stein), Arianne Borbach (Christa Stein), Dorothea Rohde (Manuela), Mario Klaszynski (Klaus), Florian Martens (Andy), Lothar Bisky (Gerd), Bärbel Bolle (Mutter), Jürgen Clasen (Kleriker), Katja Erben, Dietrich Fabienke, Jochen Falck, Roland Geppert, Dietmar Greksch, Frank Gruner, Rex Gülzow, Beate Hanspach, Claudia Jungnickel, Dorothea Moritz, Jörg Müller, Ursula Naesert, Mike Nater, Edgar Nitzsche, Dieter Nitzschner, Erwin Priefert, Gisela Rubbel, Sybille Ruge, Paul Schnitzer, Harry Scholz, Gerhard Schubert, Anette Straube, Olaf Harald Walde, Ingrid Raack und die Tele-Band.
Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe „Johannisthal“. Produktion: Andrea Hoffmann.
(Ein) Arbeitstitel: Nutzmeter Null.
Drehzeit: 13. Juni bis 13. Oktober 1989.
Premiere: 7. Juni 1990, Berlin, Kino International.
Kinostart: 8. Juni 1990.
Erstverleih: Progress.
Rüdiger Stein ist Ende dreißig und steckt fest in den „Renaissanceriesen“. Doch statt einer weiteren kulturell wertvollen Abhandlung über eine tote Geistesgröße aus ferner Vergangenheit (diesmal Melanchthon) will der Ost-Berliner Regisseur endlich seinen ersten großen Dokumentarfilm drehen: Über ein minderjähriges Paar aus „schwierigen“ Verhältnissen, das sein Kind diversen Widerständen zum Trotz bekommen möchte. Doch dann überlegt es sich die werdende Mutter anders. Und Rüdiger, der mitten im Leben filmen wollte, sieht sich gezwungen, zunehmend mitten ins Leben einzugreifen, damit er zu seinem Film kommt, wobei er sich immer weiter verrennt.
In den letzten Monaten der SED-Herrschaft drehte Dietmar Hochmuth (von dem wir schon „In einem Atem“ und „Heute abend und morgen früh“ zeigten) mit „Motivsuche“ eine ebenso intelligente wie vergnügliche Tragikomödie über das Filmemachen, das Kunstschaffen generell und die ewige Frage, wie weit Dokumentarfilmer auf das Gezeigte Einfluß nehmen dürfen – oder dies auch unwillkürlich tun. Neben dem Zusammenprall von Intellektuellenmilieu und (Sub-) Proletariat thematisiert der Film unaufdringlich auch die bis heute aktuelle Frage, wie unsicher die behagliche Existenz in der Mittelschicht oft ist. Und neben einigen Insidergags (gekrönt vom Auftreten Lothar Biskys, damals verdienstvoller Rektor der Babelsberger Filmhochschule, als Rüdiger Steins Chef) bietet „Motivsuche“ aus heutiger Sicht nicht zuletzt ein hochinteressantes Bild davon, wie es im Ost-Berlin der späten Achtziger aussah und wie es sich dort lebte.
Anfang 1990 auf dem Saarbrücker Festival um den Max-Ophüls-Preis aufgeführt und (wie andernorts) ausgezeichnet, zählte „Motivsuche“ im Sommer 1990 zu jenen DEFA-Filmen, die ein Jahr zuvor nicht nur in der DDR Aufsehen erregt hätten, nun aber vielen überholt schienen. Das Publikum (wie auch Teile der Kritik) ließ sich so eine ungewöhnliche DEFA-Produktion entgehen: voller geistreicher Zitate und Anspielungen, ebenso dezent durchgeführter Experimente, mit vielen Laien und ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht.
Wie nahezu alle Spielfilmregisseure der DEFA konnte auch der 1954 geborene Dietmar Hochmuth sein Schaffen im wiedervereinten Deutschland nicht angemessen fortsetzen. Nicht zuletzt anhand von „Motivsuche“ läßt sich erahnen, welch Verlust dies für das deutsche Kino bedeutete.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Mehr zu dem Film hier.
Quelle der filmographischen Angaben: Filmformat, Filmlänge, Arbeitstitel: https://www.defa-stiftung.de/filme/filmsuche/motivsuche/ (besucht am 28.12.2019). Rollenzuordnungen, Drehzeit, Kinostart: Progress Pressebulletin Kino DDR Nr. 6/1990. Premiere: Ralf Schenk (Red.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg – DEFA-Spielfilme 1946-92, Berlin: Henschel 1994, S. 524. Alle anderen Angaben: Originalvorspann und Originalabspann.
Bilder: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert, Dietram Kleist, Norbert Kuhröber.