Rarität des Monats Januar 2013
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 14.-16. Januar 2013 um 20 Uhr und vom 17.-19. Januar 2013 um 22 Uhr lief
Ein Schuß Sehnsucht – Sein Kampf
BRD 1973 – 16 mm (1:1,37) – Schwarzweiß – 76 Minuten
Regie, Buch, Ton: Lothar Lambert, Wolfram Zobus. Kamera: Wolfram Zobus. Schnitt: Helga Schnurre.
Darsteller: Lothar Lambert, Inge Bongers, Wolfgang Breiter, Irmgard Heikenfeld, Tilman Hemp, Hanna Hüfner, Sigrid John, Karin Kretschmar, Andreas Mannkopff, Christine Oberländer, Margot Proske, Gabriele Reuleau, Hans-Eberhard Schulz, Heinrich Spatz, Wolfram Zobus, als Gäste Dietmar Kracht und Dean Zogby.
Produktion: Lothar Lambert.
Uraufführung: 1973, Hamburg (Abaton).
Drehort: Berlin (u.a. Kurfürstendamm, Hermann-Ehlers-Platz/Düppelstraße, Finanzamt Steglitz und Umgebung, Platz des 4. Juli, Schloßpark Charlottenburg, Koenigssee, Grunewaldsee, Straße des 17. Juni, TU-Mensa, Deutsch-Amerikanisches Volksfest [Truman Plaza], Skalitzer Straße, Hardenbergstraße, Bahnhof Zoo, Jebensstraße, Axel-Springer-Verlag, Teufelsberg, John-F.-Kennedy-Platz).
Voraussichtlich Projektion von einem digitalen Datenträger.
Lothar Lambert ist seit vierzig Jahren der Inbegriff des Berliner Undergroundfilmers. Kaum mehr bekannt sind die Filme, mit denen er diesen Ruf begründete. Wie dieses Polit- und Psychodrama, das mit Lamberts anfänglichem Kompagnon Wolfram Zobus entstand: Ein junger West-Berliner (gespielt von Lambert selbst) bricht aus seinem spießigen Dasein aus und rutscht dabei immer tiefer in linksradikale, militante Kreise. Ein Lambert-typisch schroffes und daher besonders authentisches Zeugnis einer bewegten Zeit.
Unser Flyer zu diesem Film.
Aus einer fernen, fremden Zeit
„Ein Schuß Sehnsucht“, eigentlich „Sein Kampf“ betitelt, erscheint auf den ersten Blick vor allem als Werk Wolfram Zobus’: Ausgiebig wird mit der Geschichte eines fehlgehenden und deshalb fatal scheiternden Ausbruchsversuchs die Verirrung radikaler Linker kurz nach 1968 in Sektierertum, fruchtlosem Theoretisieren und wirren Gewaltaktionen thematisiert. Das explizit Politische war jedoch nie Lothar Lamberts Sache, seine Figuren mühten und mühen sich stets mit ihren vielfältigen privaten, nicht zuletzt sexuellen Problemen ab. Wie weit für diese die Gesellschaft verantwortlich ist, gar die Politik, bleibt vage und weitgehend der Interpretation des Zuschauers überlassen. Insofern verwundert es eigentlich, daß Lambert – insbesondere zu Mauerzeiten, als das sich beständig selbst auf die Schulter klopfende Dufte-Berlinertum noch penetranter blühte als nach 1990 – nicht zu Everybody’s Darling avancierte. Vor der allgemeinen Vereinnahmung schützte ihn wohl, daß die entsprechenden Kreise in (Kultur-) Politik und Medien das, was da und wie es gezeigt wurde, doch zu degoutant fanden. Offizielle Ehrungen – wie der mit einer winzigen Geldsumme verbundene Kunstpreis der Stadt Berlin für Lamberts/Zobus’ Erstling „Ex und hopp“ – sollten die Ausnahme bleiben.
Aber mag auch die Konsequenz aus der Entwicklung der Hauptfigur von „Sein Kampf“ „Zobus“ sein, die psychologische Zeichnung erscheint als „Lambert“: Der von einer dominanten Mutter – wahlweise auch mütterlichen älteren Schwester oder Freundin – erdrückte und gegängelte Mann um die dreißig sollte zu einer Standardfigur im weiteren Schaffen Lothar Lamberts werden. Sie findet sich in seinem ersten Soloprojekt „Faux Pas de deux“, in „Nachtvorstellungen“, „Drama in Blond“, „Der sexte Sinn“, bis hin zu einem Streifen aus jüngerer Zeit wie „Aus dem Tagebuch eines Sex-Moppels“. Der Versuch, sich aus kleinbürgerlicher Enge zu befreien, stand wie in „Sein Kampf“ im Mittelpunkt von „Paso doble“, „Drama in Blond“ oder „Der sexte Sinn“.
Ein wichtiger Moment im Selbstfindungsprozeß Lambertscher Filmhelden ist der Schritt vor den Spiegel – derweil dort in späteren Streifen getanzt wird, deklamiert der Protagonist in „Sein Kampf“, passend zur politischen Schlagseite des Werks, parteichinesische Pamphlete neben einem Poster der damaligen linken Politheroine Angela Davis. Aber auch das Tanzen – lange Jahre neben dem Filmemachen Lamberts zweite große Leidenschaft – fehlt in „Sein Kampf“ nicht, und wie es in Masturbation übergeht, ist ebenfalls ein Element, das Lambert immer wieder einsetzen sollte: Selbstbefriedigung als Teil jener Selbstfindung, die von den späten Sechzigern bis zum Hereinbrechen der Postmoderne in der ersten Hälfte der achtziger Jahre ein wichtiges Thema in der westlichen Gesellschaft war. Wobei diese Selbstfindung, ganz im Sinne der sexuellen Revolution, immer auch sexueller Natur sein sollte, da psychische Ausgeglichenheit, gar Glück, ohne erfüllte Sexualität undenkbar schien.
Dem Zeitgeist entsprechend bietet dieser Film jene demonstrative Zurschaustellung von Nacktheit, welche sich auch in dem vorangegangenen Werk „Ex und hopp“ findet und in dem folgenden „1 Berlin-Harlem“: So zoomt die Kamera, als der zwielichtige Typ, von dem der Protagonist sich eine Waffe besorgt, auf der Straße uriniert, auf seinen Penis. Demgegenüber erscheinen die Aufnahmen am FKK-Strand (dem legendären „Bullenwinkel“ am Grunewaldsee), wo Männer, Frauen und Kinder bunt gemischt durcheinanderspringen, nur aus heutiger Sicht gewagt – eine Gelegenheit festzustellen, wie prüde und spießig die Verhältnisse mittlerweile wieder geworden sind.
Ohne viele Genehmigungen einzuholen und noch mehr Geld abzudrücken im Charlottenburg Schloßpark zu drehen, wäre heute aus anderem Grund undenkbar – auch dies hat man schon fast vergessen: Wie das war, bevor uns die neo-liberale Umerziehung gelehrt hat, daß alles kommerzialisiert werden muß und aus jedem und jeden auch noch der letzte Cent herausgepreßt werden sollte. Was die Nutzung von Drehorten angeht, muß allerdings auch erwähnt werden, wie ungleich einfacher und daher üblicher es inzwischen ist, bewegte Bilder zu produzieren. Von den Schwierigkeiten, welche dies vor vierzig Jahren bereitete, wenn man sehr beschränkte finanzielle und daher auch technische Möglichkeiten hatten, legt „Sein Kampf“ eindrucksvoll Zeugnis ab – man beachte nur die vielen Schlagschatten oder wie im Hintergrund immer wieder deutlich das Rattern der Kamera zu hören ist.
Leute wie Lambert und Zobus brachen mit ihrer Arbeit das offizielle Monopol an bewegten Bildern, welches damals auch westlich des Eisernen Vorhangs existierte. Notgedrungen zeigten sie die Wirklichkeit rauher, „ungeschminkter“ als in den teuren Film- und Fernsehproduktionen, erhöhten mit diesem Versprechen aber auch die Attraktivität ihrer Werke. (Dies noch zu unterstreichen, indem man wie in „Sein Kampf“ zeigt, wie eine Spielszene abgebrochen wird, wäre kaum nötig gewesen.) In der heutigen Bilderflut, in einer Zeit, wo man mit seinem Telephon ungleich bessere Aufnahmen machen kann, als es Lambert und Zobus vor vierzig Jahren mit Kamera und Film möglich war, ist die Faszination, welche solches „Undergroundkino“ einst auf das Publikum ausübte, kaum mehr nachvollziehbar.
Mindestens ebenso groß war für Lambert und Zobus die Faszination, solche Bilder zu produzieren. Wie es sich für das Werk von Anfängern gehört – und deshalb schon in „Ex und hopp“ zu finden war –, gibt es in „Sein Kampf“ auch kleine filmische Experimente und Spielereien. Lothar Lambert wird all dies mehr interessiert haben als die politische Botschaft dieser Arbeit. Seine ideologische Indifferenz offenbart sich erst voll, wenn man weiß, daß er – gelernter Journalist, der noch heute ein begeisterter Zeitungsleser ist und Schlagzeilen und Titelseiten wie bereits hier zu sehen immer wieder in seine Filme einbaut – lange Jahre für den in den Sechzigern zu einem Lieblingsfeind der Linken ausersehenen Axel-Springer-Verlag arbeitete, insbesondere für die in „Sein Kampf“ erwähnte „BZ“. Mehr noch: die im Finanzamt spielenden Szenen sollen in den Räumen des Springer-Verlags entstanden sein.
Lamberts weitere Arbeiten sind, gerade weil sie sich für Politik und Gesellschaft bestenfalls am Rande interessieren, zeitloser – „Die Alptraumfrau“, „Fucking City“, „Fräulein Berlin“ oder „Die Liebeswüste“ könnten auch noch dreißig Jahre später ohne wesentliche Änderungen entstehen. Dafür taugt „Sein Kampf“ viel stärker zum Dokument seiner Zeit. Einer hoch politisierten Zeit, in welcher selbst der Rummelplatz und erst recht der Kurfürstendamm – beide beliebte Lambert-Motive – zum Schauplatz ideologischer Auseinandersetzungen werden. Einer Zeit, deren Spannungen und Nervosität in der in Lethargie und Fatalismus versunkenen Biedermeierrepublik Deutschland des Jahres 2012 als sehr fern und fremd erscheinen.
J.G.
Mehr zu diesem Film hier.
Wolfram Zobus, Lothar Lambert
Quellen der filmographischen Angaben: Originalvorspann; Stefan Menche: Lambert Underground, Berlin 1992; eigene Drehort-Recherchen.
Die Bilder wurden dem Film entnommen ((C) by Lothar Lambert).