Berlin-Film-Katalog
(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Dezember 2025

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeden Monat eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Am 1. Dezember 2025 (Montag) um 17.30 Uhr läuft (mit einer Einführung):



Canaris

BRD 1954 – 112 Min. (3080 m) – 35 mm (1:1,37) – Schwarzweiß

Regie: Alfred Weidenmann. Kamera: Franz Weihmayr. Musik: Siegfried Franz. Manuskript: Erich Ebermayer. Drehbuch: Herbert Reinecker. Bauten: Rolf Zehetbauer. Schnitt: Ilse Voigt. Ton: Fritz Schwarz. Regieassistenz: Holger Lussmann, Wieland Liebske. Gesamtleitung: Emile J. Lustig. Produktionsleitung: Werner Drake. Aufnahmeleitung: Kurt Paetz.

Darsteller: O.E. Hasse, Adrian Hoven, Barbara Rütting, Martin Held, Wolfgang Preis (!), Peter Mosbacher, Charles Regnier, Franz Essel, Alice Treff, Nora Hagist, Friedrich Maurer, Herbert Wilk,  Claus Miedel, Arno Paulsen, Ernst Stahl-Nachbaur, Arthur Schröder, Clemens Hasse, André St. Germain, Arthur Wiesner, Walter Tarrach, Axel Monjé, Josef Offenbach, Otto Graf u.a.

Hergestellt in den Ufa-Ateliers Berlin-Tempelhof.

Erstverleih: Europa.

Uraufführung: 30. Dezember 1954, Hannover, Theater am Aegi.


Admiral Wilhelm Canaris (1887-1945) war eine widersprüchliche Figur: Gegner der Weimarer Republik, 1935-1944 Chef der „Abwehr“, also des Nachrichtendienstes der Wehrmacht, diente er in wichtiger Position den Nazis und ihrem Krieg. Zugleich hielt er von den Machthabern wenig, war sich der Tatsache bewußt, daß sie auf eine Katastrophe zusteuerten und hatte Verbindungen zum Widerstand. Nach dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 wurde Canaris verhaftet und kurz vor Kriegsende im KZ Flossenbürg ermordet.

Der 1954 entstandene Spielfilm „Canaris“ (auch vertrieben unter dem Titel „Ein Leben für Deutschland“) paßte offenbar hervorragend zum bundesdeutschen Zeitgeist der mittleren fünfziger Jahre: Die „Schlußstrich“-Stimmung, welche zu Beginn der Dekade vorgeherrscht hatte, war überwunden, ein Jahrzehnt nach dem Ende des Nazischreckens begann – entgegen späterer, bis heute weitverbreiteter Narrative – eine recht intensive Beschäftigung mit diesen, allerdings zunächst oft in verharmlosender und entschuldigender Weise: Angeblich hatte die große Mehrheit der
deutschen Bevölkerung von allem nichts gewußt, konnte nichts tun, war selbst Opfer.
Als Kronzeugen für diese Behauptung bot dieser Film Wilhelm Canaris an (Slogan
des Erstverleihs: „Der Mann, der alles wußte“), dessen anti-nazistische Bemühungen
weitgehend scheitern oder von ihm von vornherein für sinnlos erklärt werden und
dessen idealisierte Gestalt hier dramaturgisch geschickt kontrastiert wurde mit der SS-Größe Reinhard Heydrich als Hauptgegner, wodurch der Film auch die lange Zeit
beliebte Entlastungslegende bediente, derzufolge für alles Böse in Nazideutschland
eigentlich nur die SS verantwortlich gewesen wäre.

Für den Film hatte der seinerzeit recht erfolgreiche und umtriebige Produzent Friedrich August Mainz ausgerechnet Alfred Weidenmann und Herbert Reinecker engagiert: Der Regisseur (1916-2000) und der Drehbuchautor (1914-2007) hatten sich in der „Reichsjugendführung“, also der Zentrale der Hitler-Jugend, kennengelernt, woraus eine lebenslange Freundschaft und berufliche Kooperation erwuchs. Nachdem sie bereits 1942/1943 bei der Kurzfilmreihe „Junges Europa“ zusammengearbeitet hatten, war ihr erster gemeinsamer abendfüllender Film 1944 der NS-Propagandastreifen „Junge Adler“ gewesen. Weidenmann hatte sich bereits durch Jugendbücher profiliert, der Schnell- und Vielschreiber Reinecker – später allen voran bekannt durch die ausschließlich von ihm verfaßten Krimiserien „Der Kommissar“ und „Derrick“ – war Chefredakteur mehrerer HJ-Blätter. Insbesondere Reineckers spätere Distanzierung vom Nationalsozialismus war eigenwillig.

„Canaris“ (geschickt gebaut und inszeniert, überzeugend gespielt und spannend, obwohl der Ausgang der Handlung bekannt ist) entwickelte sich in der BRD 1955 zu einem der kommerziell erfolgreichsten Filme des Jahres, erhielt viele anerkennende Kritiken und wurde mit den wichtigsten Bundesfilmpreisen bedacht (bester abendfüllender Spielfilm, beste Regie, bestes Drehbuch, beste männliche Nebenrolle [Martin Held als Heydrich]). Wir zeigen diesen Film nicht zuletzt als Ergänzung zu Helmut Käutners etwa zeitgleich entstandener Adaption von Carl Zuckmayers „Des Teufels General“ (unserer Berlin-Film-Rarität des Monats September 2025), die seinerzeit sehr viel weniger Zuspruch erntete – womöglich wegen der dort sehr viel unbequemeren Darstellung von schuldhafter Verstrickung auch Wohlmeinender in die NS-Verbrechen?


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu diesem Film hier, hier und hier.


Der Haupteindruck (…) ist die erneute
Erschütterung über die Tragik unserer
Geschichte. Es bleibt aber nicht die Spur einer Läuterung und Erhebung, wie wir sie von der klassischen Tragödie her kennen.

Evangelischer Film-Beobachter Nr. 3 vom 20. Januar 1955


 


 

Quellen der filmographischen Angaben: folgt.

Photos: DFF.