Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats Dezember 2022

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom 12.-14. Dezember 2022 jeweils um 18 Uhr lief



Plug & Pray

D 2009 – 92 Min. (2598 m) – 35 mm (16:9) – Farbe

Regie, Buch: Jens Schanze. Bildgestaltung: Börres Weiffenbach. Ton: Mauricio Wells, Helge Haack. Steadycam: Istvan Imreh. Montage: Jens Schanze, Jörg Hommer. Herstellungsleitung, Filmgeschäftsführung: Judith Malek-Mahdavi. Produktionsleitung: Tamara Danicic. Post-Production Supervisor, VFX: Christoffer Kempel. Colour Timing: Lee Bennett. Onlineschnitt: Tatjana Schröter. Titelgraphik: Jan Mehlhase. Sound Design: Rudolf Preusser. Mischung: Klaus Peintner. Produktionsleitung Japan: Xenia Pieper. Aufnahmeleitung, Dolmetscher: Tobias Schickhaus, Carmen Té, Benjy Barnhart. Buchhaltung: Birgit Nieberler. Kamera-, Tonequipment: Camelot Broadcast Services. Digitale Postproduktion, Filmrecording: ARRI Film & TV. Dramaturgische Beratung: Raimund Barthelmes. Wissenschaftliche Beratung: Ingo Pänke. Rechtsberatung: Christian Füllgraf. Redaktion: Petra Felber. Produzenten: Judith Malek-Mahdavi, Jens Schanze. Musik: Erste Bayerische FilmFoniker e.V., Leitung: Hildegard Schön, Rainer Bartesch, Komposition: Rainer Bartesch. Tonmeister: Carsten Kümmel, Bavaria Musikstudios.

Mit Joseph Weizenbaum, Raymond Kurzweil, Minoru Asada, Giorgio Metta, Joel Moses, Hans-Joachim Wünsche, Neil Gershenfeld, Hiroshi Ishiguro. Und Michael Manz, Michael Himmelsbach, Masahiro Shiomi, Kaoru Kurumizawa, Naomi Weizenbaum. USA: Sarah Reed, Jason Cardinal, Rafa Maya, Ken Linde, Sarah Brangan, Kenny Cheung, Manu Prakash, Ara Knaian. Deutschland: Thorsten Lüttel, André Müller, Sebastian Schneider, Michael Schweitzer, Alois Unterholzner, Torsten Rissmann, Günter Weller, Dirk Ellinger, Henrik Christensen. Italien: Giulio Sandini, Francesco Nori, Lorenzo Natale, Alessandro Bruchi, Fabrizio Metta. Japan: Hiromi Okamoto, Kohei Ogawa, Yuki Kamikawa, Mika Osato, Maria Ishii, Akane Kakeya. Schweiz: Loic Le Meur, Philip Rosedale.

Eine Mascha-Film-Produktion in Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk.

Erstverleih: Farbfilm-Verleih.

Kinostart: 11. November 2010.


Joseph Weizenbaum, 1923 in Berlin geboren, flüchtete 1936 mit seiner Familie vor den Nazis in die USA, wo er in der sich allmählich entwickelnden Computerbranche arbeitete und am Massachusetts Institute of Technology lehrte. 1966 stellte er ELIZA vor, ein Computerprogramm, das natürliche Sprache verarbeiten konnte und als ein Meilenstein bei der Entwicklung „künstlicher Intelligenz“ gilt. Weizenbaum verstörte jedoch die Technikgläubigkeit seiner Kollegen wie vieler einfacher Menschen und er wurde mehr und mehr zum Computerkritiker.

 

Der Dokumentarfilmer Jens Schanze besuchte Weizenbaum, der 1996 nach Berlin zurückgekehrt war, kurz bevor dieser 2008 starb. In seinem Film „Plug & Pray“, der als beste Dokumentation mit dem Bayerischen Filmpreis 2010 ausgezeichnet wurde, fungiert Weizenbaum als ebenso weiser wie witziger Gegenpol zu Wissenschaftlern, die künstliche Intelligenz erschaffen wollen, deren eigene Intelligenz aber offenkundig nicht zum Zweifel und zur Selbstreflexion ausreicht – oder wenigstens dafür, sich einmal anzuschauen, was aus vielen Prognosen und Erfindungen früherer Jahrzehnte geworden ist. Als lebten sie im neunzehnten Jahrhundert, zu Beginn der Industriellen Revolution, scheinen sie alles seither Geschehene und die Erfahrungen daraus zu ignorieren und zeigen sich sehr naiv von dem Glauben durchdrungen, technischer Fortschritt stelle stets auch einen ethisch-moralischen Fortschritt dar, würde der Menschheit nutzen und diese schnurstracks ins Paradies führen.

Dabei kann die von Hybris befallenen, sehr von sich und ihrer Mission überzeugten Professoren und ihre jungen Assistenten auch nicht die Unzulänglichkeit aktueller Technik irritieren: Wenn sie hier einen Roboter, dort ein sich selbst steuerndes Auto vorführen wollen – und noch nicht mal das klappt, weshalb sie beim wahrlich hochentwickelten Allheilmittel des Computernutzers Zuflucht suchen: ausschalten und wieder einschalten.

So träumen „Visionäre“ wie Raymond Kurzweil, der im Film ausgiebig zu Wort kommt, denn sogar von der körperlichen Verschmelzung des Menschen mit der Technik, davon, einen Teil der Blutkörperchen durch Nanoroboter zu ersetzen, welche im Körper alle Probleme und Schäden reparieren und so das Altern stoppen könnten, umkehren gar und damit ewiges Leben schaffen. Weizenbaum hingegen weist darauf hin, dass der Traum von der Erschaffung künstlicher Wesen Rückschlüsse auf das Menschenbild der Möchtegern-Erschaffer zulässt – und dass zu sterben der letzte Dienst ist, den man der Menschheit erweisen kann.

Wir würdigen mit dieser Wiederaufführung den hundertsten Geburtstag von Joseph Weizenbaum, den er am 8. Januar 2023 hätte feiern können.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.






Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge in Metern, Filmformat, Bildformat, Erstverleih: https://www.filmportal.de/film/plug-pray_0baa8b27618248a7a492b397a8c2636c (besucht am 27.11.2022). Kinostart: epd Film Nr. 11/2010.  Alle anderen Angaben (inkl. Produktionsjahr): Originalabspann.


Photos: Mascha-Film.