Berlin-Film-Katalog
(in Vorbereitung)

Rarität des Monats August 2025

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.

Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeden Monat eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Am 4. August 2025 (Montag) um 17.30 Uhr läuft (mit einer Einführung):



Ich bei Tag und Du bei Nacht

D 1932 – 98 Min. (2676 m) – 35 mm (1:1,33) – Schwarzweiß

Regie: Ludwig Berger. Drehbuch: Hans Székely, Robert Liebmann. Kamera: Friedl Behn-Grund, Bernhard Wentzel. Musik: Werner Richard Heymann. Liedtexte: Werner Richard Heymann, Robert Gilbert. Musikalische Leitung: Gérard Jacobson. Musik-Ausführung: Ufa-Jazz-Orchester. Gesang: Leo Monosson, Comedian Harmonists. Bauten: Otto Hunte. Maske: Emil Neumann, Hermann Rosenthal, Maria Jamitzky. Kostüme: Joe Straßner. Garderobe: Max König, Adolf Kempler, Gertrud Wendt. Schnitt: Viktor Gertler, Heinz G. Janson. Ton: Gerhard Goldbaum. Kameraassistenz: Kurt Hiller, Franz von Klepacki, Gerhard Brieger. Standphotos: Willi Klitzke. Aufnahmeleitung: Otto Lehmann.

Darsteller: Käthe von Nagy (Maniküre Grete), Willy Fritsch (Nachtkellner Hans), Amanda Lindner (Zimmervermieterin Witwe Cornelia Seidelbast), Julius Falkenstein (Herr Krüger), Elisabeth Lennartz (Krügers Tochter Trude), Albert Lieven (Trudes Studienkollege Wolf), Anton Pointner (Bankier Meyer), Friedrich Gnaß (Kinovorführer Helmut), Eugen Rex (Peschke, Führer im Schloß Sanssouci), Ida Wüst (Frau Waiser, Inhaberin eines Kosmetiksalons), Ursula van Diemen (Filmdarstellerin), Walther Ludwig (Filmdarsteller), Helmuth Forest (1. Straßensänger), Carl Merznicht (2. Straßensänger), Trude Lieske (Gretes Kollegin), Gerhard Bienert (Polizist), Karl Hellmer (Kellner), Rudolf Platte (Kuchenkellner), Werner Pledath (Geschäftsführer im „Casanova“), Leo Monosson (Sänger im „Casanova“), Lydia Potechina, Werner Hollmann, Michael von Newlinski, Loni Michaelis, Kurt Lilien.

Produktion: Universum-Film AG (Ufa). Produzent: Erich Pommer. Produktionsleitung: Max Pfeiffer.

Dreharbeiten: 1. August bis 27. Oktober 1932.

Erstverleih: Ufa.

Uraufführung: 28. November 1932, Berlin, Gloria-Palast.


Wohnungsnot ist in Berlin seit über hundert Jahren ein Dauerthema. Aber obwohl manche meinen, die Armut wäre in Deutschland noch nie so groß gewesen wie heute, sind wir noch nicht wieder bei Zuständen angekommen, die dieser Film zum Ausgangspunkt nimmt: Dem Vermieten eines Zimmers, das man stets nur einen halben Tag lang nutzen darf.

So kommt es, daß Hans und Grete zwar im selben Bett schlafen, aber er bei Tag und sie bei Nacht. Obwohl sie einander nie begegnet sind, hassen sie sich. Und als sie sich einmal begegnen, abseits des Zimmers, das sie unwis­sent­lich teilen, verlieben sie sich rasch ineinander. Natürlich sind beide bestrebt, ihre prekäre Wohnsituation zu kaschieren, zumal sie den jeweils anderen für begütert halten. So kommt es auch zu einem Ausflug per Taxi nach Sanssouci.

Seit 1927 im Besitz des rechtsextremen Medienzaren und Politikers Alfred Hu­gen­berg, folgte die Ufa dennoch bis zur Machtübergabe an die Nazis oft der kapita­listischen Tugend, daß Profit vor Politik geht. So konnten beim größten deut­schen Filmkonzern 1932, also auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, auch Streifen wie dieser entstehen, die soziales Elend thematisierten. Anders als heute im deutschen Film üblich (wenn überhaupt einmal soziale Fragen be­handelt werden und nicht die so überaus beliebten Psychoprobleme, bevorzugt von Angehörigen der Mittelschicht), geschah dies aber nicht anklagend, ver­knif­fen oder trübsinnig, sondern charmant, intelligent und mit Humor. Wesent­lich ver­ant­wortlich dafür waren viele Künstler, die kurz dar­auf vor den Nazis flüchten mußten wie der Produzent Erich Pommer, der Regisseur Ludwig Berger, die Dreh­buch­autoren Hans Székely und Robert Liebmann, der Komponist Werner Richard Heymann und der Liedtexter Robert Gilbert.

Die beiden letztgenannten erwiesen sich auch hier wieder als sichere Lie­fe­ranten von (Tonfilm-) Schlagern, in diesem Falle vor allem mit dem Lied „Wenn ich sonntags in mein Kino geh“. Dort nämlich ist eine realitäts- und lebensfremde Operette zu sehen, ein übertrieben süßlicher Film im Film, mit dem sich die Traumfabrik über ihre eigenen Produktionen lustig machte (und die Dreh­buch­autoren nebenher die Ausstattungsszenen aus der eigentlichen, realistischeren Handlung auslagern konnten).

So ist „Ich bei Tag und Du bei Nacht“ nicht nur ein hervorragendes Bei­spiel für die hohe Qualität des deutschen Filmschaffens in der Frühzeit des Tonfilms und der Endzeit der Weimarer Republik, sondern auch ein Vorbild für unterhaltsame (und damit massentaugliche) Sozial- und Kul­tur­kritik, wie es sie seither in der deutschen Filmproduktion nur noch selten gibt.

 

Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.

Mehr zu diesem Film hier und hier.



Der Film ist von Berger mit einer guten, gelenkigen, sehr erfahrenen Hand gestellt, gespielt, geleitet und geschnitten. Er fließt angenehm und mit dem feinen Glanz,
wie guter Wein aus der Flasche ins Glas.  

Willy Haas, Film-Kurier vom 29. November 1932


 


 

Quellen der filmographischen Angaben: Uraufführung: Film-Kurier vom 28.11.1932 und 29.11.1932. Alle anderen Angaben: https://www.filmportal.de/film/ich-bei-tag-und-du-bei-nacht_6c06cfbcd2aa43da9583a00e6eb63f55 (zuletzt besucht am 30.7.2025).

Photos: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung/DFF.