Berlin-Film-Katalog

(in Vorbereitung)

Rarität des Monats August 2022

Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.

Vom  8.-10. August 2022 jeweils um 19 Uhr lief


He, Du!

DDR 1969/1970 – 97 Min. (2645 m) – 35 mm (Totalvision) – Schwarzweiß

Regie, Drehbuch: Rolf Römer. Dramaturg: Wolfgang Ebeling. Kamera: Peter Krause. Musikalische Gestaltung: Karl-Ernst Sasse. Szenenbild: Heike Bauersfeld. Bauausführung: Klaus Winter. Kostüme: Günther Schmidt. Masken: Lothar Stäglich. Außenrequisiteur: Werner Kirschstein. Ton: Peter Dienst. Schnitt: Brigitte Krex. Regieassistenz: Ellen Krause. Filmphotograph: Klaus Zähler. Kameraassistenz: Hein Wenzel, Wolfgang Bangemann. Oberbeleuchter: Hans Helmstedt. Aufnahmeleitung: Harald Andreas.

Darsteller: Annekathrin Bürger (Ellen Volkmann), Frank Obermann (Frank Rothe), Petra Hinze (Ulli), Heinz Dieter Knaup (Horst Bach), Rolf Specht (Maxe Krahl), Wolfgang Greese (Psychologe), Matthias Behrens (Schüler), Ute Boeden (Jutta), Dietmar Richter-Reinick (Abraham), Horst Kube (Karl), Bodo Schmidt (Pieps), Rolf Mey-Dahl (Mücke), Dieter Mann (Bernd), Winfried Wagner (Dr. Ralf Lindberg), Karl Sturm (Siegfried Peschel), Dieter Wien (Lothar Meinel), Brigitte Beier, Heinrich Banet, Susanne Düllmann, Ruth Kommerell, Ursula Braun, Carola Braunbock, Johannes Wieke, Karl-Heinz Weiss, Otmar Richter, Erich Brauer, Fred Alexander, Heinz Laggies, Erika Göpelt, Egon Aderholt, Giso Weißbach, Walter Theinert, Günter Schubert, Rosemarie Quednau, Hanns-Jörn Weber, Roland Oehme, Inge Tegener, Margret Linser, Brigitte Florian, Sabine Deike, Peter Reidel, Hans-Joachim Engelmann, Jürgen Scharfenberg, Lutz Brandt, Annette Böttche, Hannelore Kühn, Günter Gagern.

Etta Cameron singt den Blues „Jungle City USA“, Text: Walter Kaufmann, Musik: Klaus Lenz.

Ein Film der DEFA Studio für Spielfilme, Gruppe Roter Kreis. Produktionsleitung: Bernd Gerwien.

Premiere: 29. Januar 1970, Berlin, Kino International.

Kinostart: 30. Januar 1970.


„Sollte man Ihnen gesagt haben, dies sei eine Liebesgeschichte, so ist das nur zum Teil richtig. Aber … na ja, Sie werden ja sehen!“ So spricht die Hauptfigur dieses Films zu dessen Beginn in die Kamera und setzt damit den Ton für eine der ungewöhnlichsten Produktionen der DEFA-Historie.

Denn „He, Du!“ will – passend zu seinem eigenwilligen Titel – weniger eine übliche Geschichte erzählen als Momente aus dem Leben einer jungen Lehrerin im Ost-Berlin der ausgehenden sechziger Jahre schildern, Alltag, mit Freude, Problemen und Konflikten – und als rotem Faden dann doch etwas Liebe: Als der Geliebte der Frau – ein Funktionär, der bevorzugt die Erfolge feiert und das Erreichte lobt, während sie sich mehr dafür interessiert, wo es beim sozialistischen Aufbau noch Defizite gibt – sie nach einem Streit heiraten möchte, denn „alle erwarten es“, trennt sie sich von ihm. Zumal mit dem Onkel eines Problemschülers, einem gestandenen Baubrigadier, ein Mann von ganz anderem Zuschnitt an ihr Interesse zeigt.

Rolf Römer (1935-2000) war bereits ein bekannter Schauspieler, als er sich ab Ende der sechziger Jahre auch als Drehbuchautor und Regisseur beweisen konnte: Bereits sein Erstling „He, Du!“ zeigte ihn als unkonventionellen, da einfallsreichen und auch verspielten Filmemacher – Dinge, die bei der DEFA stets Seltenheitswert hatten. Neben der direkten Ansprache der Zuschauer gibt es hier innere Monologe, Standbilder, Traumsequenzen, dokumentarische Aufnahmen und manches mehr, dazu barocke oder barock klingende Musik. Auch die Erzählweise ist eher ungewöhnlich: Vieles wird angerissen, nur weniges zu Ende geführt.

Es bliebe zu recherchieren, wie weit die skizzenhafte Form Strategie war, um mit der Zensur umgehen, wie viel auch von Römers ursprünglichen Absichten im Laufe des Entstehungsprozesses auf der Strecke blieb: Das verheerende „Verbotsplenum“ des ZK der SED lag erst wenige Jahre zurück, und daß die Hauptfigur Lehrerin ist, dürfte die Sache nicht einfacher gemacht haben – zumal diese sehr emanzipierte Frau die im „real existierenden Sozialismus“ verbal stets hochgehaltenen Ideale der Ideologie vertritt, die im Gegensatz standen zu deren doktrinärer, totalitärer Praxis.

Man sollte denn auch nicht allzu viel darauf geben, wie hier ein Loblied auf sozialistisches Denken und Leben à la SED gesungen wird (einschließlich des Baus des „sozialistischen Stadtzentrums“ unterm Fernsehturm), was im Pressematerial des Verleihs und auch in vielen Kritiken wiederholt wurde. Womöglich wollte man damit nur Betonköpfe besänftigen. Womöglich glaubte man wirklich noch daran. Wie es in der DDR wirklich zuging, mußte Rolf Römer bald selbst schmerzlich erfahren: Schon ein Jahrzehnt später erhielt er als Filmemacher faktisch Berufsverbot.


Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.




Zeitgenössisches Plakat



Quellen der filmographischen Angaben: Filmlänge in Metern, Filmformat, Außenrequisiteur, Oberbeleuchter, Rollennamen, Darsteller ab Karl-Heinz Weiss, Kinostart: Kino DDR Nr. 2/70 (dort Hein Wenzel neben Klaus Zähler als Standphotograph aufgeführt). Filmlänge in Minuten: Ralf Schenk (Red.): Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg – DEFA-Spielfilme 1946-92, Berlin: Henschel 1994, S. 441. Premiere: Neues Deutschland (Berliner Ausgabe) vom 26.1.1970. Alle anderen Angaben: Originalvorspann (dort Etta Cameron „Eta“ geschrieben).

Photos: DEFA-Stiftung/Klaus Zähler. Plakat: DEFA-Stiftung.