Rarität des Monats August 2021
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 9.-11. August 2021 um 18 Uhr lief (zum sechzigsten Jahrestag des Mauerbaus und am 9. in Anwesenheit von Hans-Dieter Grabe)
Bernauer Straße 1-50 oder Als uns die Haustür zugenagelt wurde
BRD 1981 – 72 Min. – Farbe
Regie, Buch: Hans-Dieter Grabe. Kamera: Horst Bendel, Manfred Zschieck. Ton: Hinrich Schröder, Gustl Haas. Schnitt: Elfi Kreiter, Christina Geisler.
Produktion: ZDF.
Uraufführung (Erstausstrahlung): 13. August 1981, 21.20 Uhr, ZDF (Reihe „Lebenserfahrungen“).
Bis zur Bezirksreform von 2001 gehörte die Bernauer Straße auf voller Breite zu Wedding, die Häuser auf ihrer Südseite zu Mitte. Einen derartigen Verlauf der Bezirksgrenzen an einer Häuserfront entlang gab und gibt es vielerorts in Berlin.
In der Bernauer Straße (wie an einigen anderen Stellen) zeitigte er tragische Folgen, als die Bezirksgrenze zur Sektorengrenze und dann zur Grenze zwischen Ost und West im Kalten Krieg wurde. Kurz nach dem Mauerbau im August 1961 kam es zu dramatischen Fluchten aus den in Ost-Berlin gelegenen Häusern Bernauer Straße 1-50, die schließlich vermauert, geräumt und abgerissen wurden.
Hans-Dieter Grabe, geboren 1937 in Dresden, aufgewachsen dort und in Cottbus, hatte ab 1955 an der Babelsberger Filmhochschule studiert und die DDR 1959 verlassen. Beim ZDF entwickelte er sich zu einem der herausragenden Dokumentarfilmer des deutschen Fernsehens. Im Laufe von vierzig Jahren schuf er sechzig große Filme.
In „Bernauer Straße 1-50 oder Als uns die Haustür zugenagelt wurde“ ließ er 1981 Menschen davon berichten, wie sie in dieser Straße in den Westen geflüchtet waren. Darunter Conrad Schumann, dessen Sprung als Polizist über Stacheldrahtrollen hinweg in den Westen eines der berühmtesten Mauerbaubilder wurde. Aber auch ein Mann, der vor allem seiner Frau wegen geflüchtet war, oder eine Mutter, die ihr Sohn dazu gedrängt hatte und die noch zwanzig Jahre später ihrer Existenz in der DDR nachtrauerte. Zu Wort kamen ferner Erbauer des berühmten Flucht-„Tunnels 29“. Dazu gibt es Aufnahmen von der Straße aus der damaligen Gegenwart sowie aus den sechziger Jahren.
Grabes Film ist ein Beispiel für die gute alte Schule des Dokumentarfilms wie sie heute im deutschen Fernsehen nur noch in Ausnahmefällen zu sehen ist: Keine Musik, keine Mätzchen mit Kamera, Schnitt oder Effekten, nichts Nachinszeniertes, der Off-Kommentar ist rein sachlich und besteht nur aus Erläuterungen zu Vorgängen und Personen. Aus dem Gezeigten und Gehörten seine Schlüsse ziehen darf und muß jeder selbst.
Hans-Dieter Grabe drehte seinen Dokumentarfilm nicht nur zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerbaus (an dem er in der Reihe „Lebenserfahrungen“ lief). Der Streifen entstand auch kurz nachdem in der Bernauer Straße die Reste der abgerissenen Häuser durch eine neue Mauer ersetzt worden waren: Weiß, glatt und gleichförmig, als hätten an dieser Stelle nie Häuser gestanden, nie Menschen gelebt. Grabes Film ist auch ein Akt des Widerstands gegen diese Auslöschung von Geschichte: Er ruft in Erinnerung, was die östlichen Machthaber vergessen machen wollten.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Mehr zu Hans-Dieter Grabe hier.
Quelle der filmographischen Angaben: Filmlänge, Produktionsfirma: https://www.filmportal.de/film/bernauer-strasse-1-50-oder-als-uns-die-haustuer-zugenagelt-wurde_73a87a125cd241e686c88b47906be357 (besucht am 20.10.2020). Erstausstrahlung: ZDF-Programm. Alle anderen Angaben: Originalabspann.
Bild: Absolut Medien.