Rarität des Monats April 2013
Die Auswahl an Berlin-Filmen, die in den Kinos wie im Fernsehen läuft, wird immer kleiner. Das Filmbild der Stadt wird dementsprechend von immer weniger Werken geprägt. Und immer mehr Berlin-Filme, darunter auch bedeutende, geraten in Vergessenheit.
Deshalb und um zu zeigen, daß Berlin-Film-Katalog nicht nur auf Geld wartet, gibt es den Jour fixe des selten gezeigten Berlin-Films: Seit Juni 2012 wird jeweils am zweiten Montag im Monat im Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität präsentiert.
Vom 4.-6. und 8.-10. April 2013 lief um 18 Uhr
Rotweinrock und Lammfellmantel
D 2004 – Beta SP (1:1,66) – Farbe – 52 Minuten
Ein Film von Hannah Metten, Jan Gabbert. Tonbearbeitung: Lars Ginzel. Musik: Uwe Bossenz. Titelgestaltung: Ellen Stein, Thorben Jäger. Ein Film mit Waltraud Köhler, Siegfried Köhler, Elke Seemann und den Kunden der Reinigung. Danke: Waltraud Köhler und Siegfried Köhler, Elke Seemann, allen Kunden, Winfried Gerling, Zaki Omar, Gisela Schulz, Lars Ginzel, Ellen Stein, Thorben Jäger, Jacob Ilgner, Tanja Ptacek, Franziska von Berlepsch, Nico Rolcke, Jan Poppenhagen, Ilona und Bernd-Uwe Gabbert.
Erstaufführung: 20. März 2004, Berlin (Lichtblick-Kino).
Projektion eines digitalen Datenträgers.
Wäscherinnen
DDR 1972 – 35 mm (1:1,37) – Schwarzweiß – 23 Minuten
Regie: Jürgen Böttcher. Kamera: Werner Kohlert. Schnitt: Charlotte Beck. Ton: Jochen Huschenbett. Ton: Hans-Jürgen Mittag. Kommentar: Peter Voigt.
Produktion: DEFA-Studio für Kurzfilme, Gruppe Profil. Redaktion: Günter Wünsche. Produktion: Dieter König.
Projektion einer 35 mm-Kinofilmkopie.
Nach zwanzig Jahren ist’s genug: Waltraud und Siegfried Köhler geben ihre Textilreinigung in der Stargarder Straße in Prenzlauer Berg auf, schließlich sind beide schon Ende sechzig. Trotzdem fällt der Abschied schwer, ihnen wie ihren Kunden. Unaufgeregt werden die letzten Wochen dieser Kiezinstitution beobachtet, unaufdringlich wird dabei Großes geschildert: Kundendienst als Selbstverständlichkeit, Arbeit, die Freude macht, Geschäftsgebaren, das nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet ist. Ganz unaufdringlich avanciert der Film so zu einer Lektion über die Würde von Arbeit. Als Vorfilm läuft „Wäscherinnen“ über junge Frauen in der REWATEX-Großwäscherei in Pankow-Heinersdorf.
Unser Flyer zu den Filmen. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Unzeitgemäß – überraschend aktuell
Nach zwanzig Jahre ist’s genug: Waltraud und Siegfried Köhler geben ihre Textilreinigung in der Stargarder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg auf, schließlich sind beide nicht mehr die jüngsten. Und trotzdem fällt der Abschied schwer, nicht nur dem Ehepaar, sondern auch seinen Kunden. Sei’s der kleinen Gespräche am Ladentisch wegen oder der gewissenhaften Arbeit, welche fast jeden Fleck und jede unerwünschte Falte verschwinden ließ.
2004 beobachteten Hannah Metten (Jahrgang 1979) und Jan Gabbert (Jahrgang 1980) für ihren Film „Rotweinrock und Lammfellmantel“, mit dem sie ihr Studium der Europäischen Medienwissenschaft abschlossen, die letzten Wochen dieser Kiezinstitution auf fast asketische Weise: In dem rund fünfzigminütigen Streifen gibt es keinen gesprochenen Kommentar, keine Schriftinserts, keine Musik (außer zum Abspann), erst recht keine Sperenzchen bei Kameraführung oder Montage. Es erklärt sich alles selbst, die Kamera verläßt den Laden lediglich, um ihn von außen zu zeigen, der Film konzentriert sich ganz auf das betagte Ehepaar. Über dessen Privatleben erfährt der Zuschauer nur wenig. Um so mehr hingegen über die Arbeit der Köhlers: über individuellen Service, gewissenhafte Dienstleistung, Beratung, zu der auch gehört, einen Kunden darauf hinzuweisen, wenn er mit seinen Flokatiteppich ins Waschcenter ginge, könne ihn das viel billiger kommen.
Was man in genauen Beobachtungen und kurzen Interviews sieht und hört, bestätigt den wohligen Eindruck von Solidität, welchen schon das Ambiente des Ladens vermittelt: Hier soll dem Kunden nicht mit allerlei Marketingmätzchen und psychologischen Tricks etwas aufgenötigt werden, hier verwendet man nicht viel Mühe auf die Einrichtung und Inszenierung des Geschäfts, hier kümmert man sich lieber um die Sache(n) an sich, um die Qualität der Waren und Dienstleistungen. So wie es hier auch nicht um Kostenoptimierung und Profitmaximierung geht – sieht man einmal davon ab, daß Frau Köhler Recycling betreibt, indem sie Reklamezettel und andere nicht mehr benötigte Drucksachen, so diese eine weiße Rückseite aufweisen, zerschneidet und als improvisierte Quittungen weiterverwendet. Statt sich Werbeaktionen auszudenken und permanent „Sale“ ans Schaufenster zu schreiben, konzentrieren sich Köhlers auf das, was sie den Kunden Reelles bieten: Denn chemische Reinigung ist chemische Reinigung, aber mit einem dermaßen sorgfältigen Kampf gegen jeden Flecken kann die Konkurrenz womöglich nicht aufwarten.
Recht bald wird deutlich: Der seinem Gegenstand entsprechend schlichte, stille Film erzählt in erster Linie von Arbeit, die Freude macht, davon, wie Arbeit schön sein kann, Sinnstifter und Lebenselixier. Weshalb dann auch nicht über die Höhe des Renteneintrittsalters diskutiert zu werden braucht: Die Köhlers gehen mit Ende sechzig in den Ruhestand. Und mit Bedauern. „Ich bin hier zwanzig Jahre gerne hergekommen, und das waren wirklich schöne zwanzig Jahre“, meint Waltraud Köhler und betont, sie sehe diese Arbeitszeit nicht als verlorene Zeit.
Wie aus einer fernen, fremden, vergangenen, wahrhaft verlorenen Zeit wirkt aber das Arbeitsethos, welches „Rotweinrock und Lammfellmantel“ so unaufdringlich (und damit seinerseits in „unzeitgemäßer“ Form) dokumentiert – heutzutage, wo Arbeitnehmer gern nur als lästige Kostenfaktoren behandelt werden, wo Arbeit weitgehend degradiert worden ist zu etwas, mit dem man irgendwo irgendwie ein wenig Geld verdienen soll. Auch zu Hungerlöhnen, auch in einzig der Statistikmanipulation dienenden „Maßnahmen“, auch zu unzumutbaren Bedingungen – welche ja einfach wegdefiniert worden sind: Von Vertretern jener Partei, die einmal zum Kampf gegen Ausbeutung gegründet worden ist. Von Herren, die meinen, jede Arbeit sei zumutbar, und die dann ihr Verständnis von Anstand und Solidarität dokumentieren, indem sie öffentlichkeitswirksam kurz vor dem Wahltag dazu aufrufen, nicht für ihre eigene Partei zu stimmen – wenn man sie dafür rügt, treten sie als beleidigte Leberwurst aus. Dieser (hinsichtlich seines Budgets) kleine, (hinsichtlich seiner Aussage und Bedeutung) große Film vermittelt eine Ahnung davon, wie wenig inzwischen von der gern an Maifeiertagen beschworenen Würde der Arbeit übriggeblieben ist, wie verkommen die Verhältnisse sind.
Und wie sind die Verhältnisse für Filmemacher? Dieser außerhalb der gängigen Mechanismen produzierte Film hat, jenseits einiger Festivals, kaum Beachtung gefunden. Wer verleiht schon eine fünfzigminütige Dokumentation, die weder mit Skandalgeschrei noch mit aufdringlicher Machart (merke: „wenn die Kamera wackelt und viel geschnitten wird, ist das was für die Jugend“) noch mit Fördergeldern aufwarten kann? Wer berichtet schon über solch einen Film, in dem nicht mal irgendwelche Promis auftreten?
Wie man hört, brauchen Produktionen, erst recht Dokumentationen, die ohne Beteiligung des Fernsehens entstanden sind, bei den Sendern erst gar nicht anzuklopfen. Gezeigt wird nur, was von vornherein den Apparat der Senderredaktionen und Förderinstitutionen durchlaufen hat und überall abgesegnet worden ist. Eine Zensur findet natürlich nicht statt. Die Kunst ist frei. Im Mai werden ja nicht nur am 1. schöne Reden gehalten, sondern auch am 23.
Der Reden ebenfalls nicht enthalten kann sich Jürgen Böttchers „Wäscherinnen“. Natürlich nicht. Was weniger seinem Entstehungsort – der DDR – als seiner Entstehungszeit – 1972 – geschuldet sein dürfte: Während heute manch Dokumentarfilmregisseur seinen Zuschauern lieber wichtige Informationen vorenthält, als sich einen noch so knappen Kommentar zu genehmigen, waren um 1970 Dokumentationen ohne aus dem Off gesprochenen Text noch (oder gerade wieder) ungewöhnlich. Erst einige Jahre später sollte Böttcher solche Filme schaffen.
In „Wäscherinnen“ versteigt sich sein für den Kommentar verantwortlich zeichnender Kollege Peter Voigt gleich am Anfang zu der Behauptung, alle Berufe seien gleich wichtig – was eine freundliche Lüge ist, aber nichtsdestoweniger eine Lüge. Der Film konzentriert sich dann auf ein Gewerbe, das es in diesen Ausmaßen im Jahre 2013 nicht mehr gibt: Auch im einstigen Ostteil Berlins ist inzwischen für Privathaushalte an die Stelle der Möglichkeit, seine Wäsche (sehr preiswert) in einem Großbetrieb reinigen zu lassen, die flächendeckende Versorgung mit Waschmaschinen, Waschküchen und Waschsalons getreten. Welche Bedeutung Spindlersfeld einmal für die Stadt hatte, wissen bald nur noch Heimatkundler. (Daß die REWATEX-Niederlassung, in der Böttcher drehte, in Heinersdorf stand, spielt diesbezüglich keine Rolle.)
Während der Kommentar pflichtschuldig – auch so pflichtschuldig, wie man es in einem „Staat der Werktätigen“ erwarten darf – die Arbeit der Wäscherinnen lobt und um Verständnis für sie wirbt, ersteht vor allem aus den Aussagen der jungen Frauen allmählich ein ganz anderes Bild: Kaum eine von ihnen scheint sich diese Arbeit ausgesucht zu haben. Manche wurden mit mehr oder minder sanftem Druck dazu gebracht, andere mit falschen Versprechen. Freude bereitet offenbar kaum einer ihr Broterwerb. Einige der im Betrieb anfallenden Tätigkeiten scheinen immerhin nicht ganz so anstrengend oder unangenehm zu sein wie andere. Mehrere der jungen Frauen fühlen sich nicht angemessen entlohnt, insbesondere nicht im Vergleich´zu anderen. Natürlich darf im Film nicht gesagt werden, was wenigstens subjektiv vorliegt, wenn man für seine Arbeit nicht das bekommt, was man bekommen sollte: Ausbeutung.
Jürgen Böttchers „Wäscherinnen“ ist in verschiedener Hinsicht ein Kontrastprogramm zu „Rotweinrock und Lammfellmantel“. Auch wenn Ostalgiker ebenso wie glühende Marktwirtschaftler es aus ideologischen Gründen für schlichtweg unmöglich halten dürften: Der Film wirkt überraschend (und erschreckend) aktuell. Er zeigt Arbeit allein als lästiges Übel, als etwas, das man notgedrungen ausübt, in das man mehr oder weniger gezwungen worden ist – damals in der DDR übrigens letztlich ebenso von Behördenseite wie heute in der BRD.
Damals wie heute scheint es auch kaum einen Funktionär oder Politiker, Lobbyisten oder Agitatoren zu interessieren, welch volkswirtschaftlicher Schaden entsteht, wenn man Menschen in Berufen oder wenigstens in Fertigkeiten ausbildet, die sie später nicht oder nicht lange ausüben wollen. Hauptsache versorgt.
Es wäre interessant zu erfahren, was aus den jungen Wäscherinnen – von denen ja viele trotz allem sehr selbstbewußt wirken, entschlossen, sich zu behaupten, und von jugendlichem Optimismus durchdrungen, schon noch etwas Besseres zu finden – geworden ist. Wie viele von ihnen wie lange in diesem Betrieb, in diesem Beruf blieben. Das Ende der DDR dürfte vielen von ihnen ohnehin eine Neuorientierung aufgezwungen, vielleicht auch ermöglicht haben. Wenn man sieht, wie diese hübschen, jungen Frauen die schwere Wäsche bewegen müssen, in der dampfgeschwängerten Atmosphäre schuften, mit dem ganzen Wasser (ist es eigentlich üblich, in einer Großwäscherei mit nackten Händen zu arbeiten?) – man möchte es ihnen eigentlich auch dringend wünschen, daß sie das nicht vierzig Jahre lang machen mußten.
Jetzt sind die jungen Frauen, denen man in „Wäscherinnen“ am Anfang ihres Berufslebens begegnet, um die sechzig. Sie nähern sich also vermutlich dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit. Man hofft, daß sie dieses Ende so bedauern wie die Köhlers.
J.G.
Mehr zu diesen Filmen hier und hier.
Quellen der filmographischen Angaben: Originalvorspänne bzw. Originalabspann, http://www.buchstabenschubser.de/arbeiten/209 (besucht am 12.3.2013).
Bilder aus dem Film (Hannah Metten/Jan Gabbert).