„Berlin-Film-Katalog präsentiert nochmals“ – seit Oktober 2023 jeden Monat im Cosima-Filmtheater
Seit Juni 2012 präsentierte Berlin-Film-Katalog allmonatlich im Weißenseer Brotfabrikkino eine Berlin-Film-Rarität, im September 2023 zum 120. Mal. Höchste Zeit, auch einmal andernorts zu zeigen, welch reiches Angebot unterschiedlichster Spiel- und Dokumentarfilme aus Ost und West, dem noch nicht geteilten und dem wiedervereinten Deutschland in dieser Reihe bisher schon zu sehen war.
Seit Oktober 2023 wird daher einmal im Monat eine Berlin-Film-Rarität, die vor längerer Zeit im Brotfabrikkino zu sehen war, noch einmal im kürzlich – nach umfassender Renovierung und Modernisierung – wiedereröffneten Cosima-Filmtheater in Friedenau/Wilmersdorf gezeigt. Fester Termin dafür ist der dritte Montag eines jeden Monats, 17.30 Uhr. Es gibt nur eine Aufführung, und diese jeweils mit einer Einführung.
Das Cosima-Filmtheater befindet sich in der Sieglindestraße 10, direkt am Varziner Platz und direkt am S- und U-Bahnhof Bundesplatz, in 12159 Berlin. Eintritt: 8-12 Euro.
Die Reihe „Berlin-Film-Katalog präsentiert nochmals“ begann am 16. Oktober 2023 mit dem Film, mit dem unsere Reihe der Berlin-Film-Raritäten 2012 im Brotfabrikkino gestartet wurde: „Endstation Liebe“, dem 1957/1958 entstandenen, weniger bekannten, aber eigentlich schöneren Nachfolgeprojekt desselben Teams, das kurz zuvor „Die Halbstarken“ geschaffen hatte: Regisseur Georg Tressler, Drehbuchautor Will Tremper, Komponist Martin Böttcher, Produzent Wenzel Lüdecke und männlicher Hauptdarsteller Horst Buchholz.
Am Montag, 16. Dezember 2024 um 17.30 Uhr läuft im Cosima-Filmtheater (mit einer Einführung):
Tätowierung
BRD 1967 – 86 Min. (2365 m) – 35 mm (1:1,66) – Farbe
Regie: Johannes Schaaf. Drehbuch: Günter Herburger, Johannes Schaaf. Nach einer Idee von Günter Herburger. Kamera: Wolf Wirth. Musik: George Gruntz. Schnitt: Dagmar Hirtz. Aufnahmeleitung: Siegfried Wagner. Ton: Hans-Dieter Schwarz. Ausstattung: Götz Heymann. Maske: Jutta Stroppe.
Darsteller: Helga Anders, Christof Wackernagel, Rosemarie Fendel, Alexander May, Heinz Meier, Tilo von Berlepsch, Heinz Schubert, Wolfgang Schnell.
Ein Film der Rob Houwer-Produktion München. Produktionsleitung: Jürgen Dohme. Gesamtleitung: Rob Houwer.
Dreharbeiten: 13. März bis 2. Mai 1967, Berlin.
Erstverleih: Eckelkamp.
Uraufführung: 27. Juni 1967, Berlin, Zoo-Palast (Internationale Filmfestspiele).
Bei der Berlinale 1967 sorgte „Tätowierung“ für Aufsehen: Ein Unternehmer-Ehepaar mittleren Alters nimmt den halbwüchsigen Heimzögling Benno bei sich auf. Die Güte, Geduld und Toleranz, mit der das bürgerliche Paar ihn zu „bessern“ versucht, kennt keine Grenzen und wirkt zuweilen penetrant. Als er mit der nur wenig älteren (doch sehr viel abgeklärteren) Nichte und Pflegetochter intim wird, wird dies freudig registriert. In Wahrheit gehen die Pflegeeltern aber überhaupt nicht auf den Jungen, seine Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse, ein, sondern wollen ihn nach ihrem Vorbild formen. Dies reizt ihn zu immer neuen Provokationen und anderen Akten der Rebellion, bis hin zu einer ultimativen Gewalttat.
Nach sechs Regiearbeiten fürs Fernsehen war „Tätowierung“ der erste Kinofilm von Johannes Schaaf (1933-2019). Günter Herburger, der die Idee geliefert und mit dem Schaaf das Drehbuch geschrieben hatte, war damals als Schriftsteller wie als Filmautor sehr umtriebig. Wieder beschrieb er auch Kommunikationsprobleme: Die Menschen reden aneinander vorbei, die Pflegeeltern sind vor allem mit dem Genuß ihres Gutseins und mit Selbstdarstellung beschäftigt, weshalb Benno sie nicht versteht. Umgekehrt erfährt, durch das Desinteresse seiner neuen Umgebung, auch der Zuschauer kaum etwas über den Hintergrund, die Geschichte des Jungen, der mit der ungewohnten Freiheit nicht zurechtkommt, deshalb lieber zurück in den Jugendhof will, aber feststellen muß, daß man ihn dort nicht mehr sehen will.
Wolf Wirth galt in den Sixties als einer der „angesagtesten“ jungen Kameramänner, vielgelobt für seine kunstvollen Bilder, weshalb Schaaf – um eine betont unrealistische Atmosphäre bemüht – ihn auch engagierte. Zentrum des bewußt in West-Berlin angesiedelten und nur an Originalschauplätzen gedrehten Films war die von Franz Schwechten (Architekt der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, des Anhalter Bahnhofs oder der heutigen Kulturbrauerei) entworfene, burgartige Fabrik der Mosaikwerkstatt Puhl und Wagner an der Neuköllner Kiefholzstraße. Das direkt an der Mauer gelegene Gebäude wurde wenig später abgerissen.
„Tätowierung“ traf auf die – kurz nach dem 2. Juni 1967 – aufgeheizte Stimmung in West-Berlin, auf ein politisches Klima, das sich allseits rasant radikalisierte, und wurde ganz unterschiedlich interpretiert. Während Alexander May (dessen äußere Ähnlichkeit mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz dem Kritiker des „Spiegel“ auffiel), die junge Helga Anders und Schaafs Lebensgefährtin Rosemarie Fendel bereits prominent waren, avancierte Christof Wackernagel als Benno mit seiner ersten Filmrolle sofort zum Star.
„Tätowierung“ erhielt 1968 drei Bundesfilmpreise (Filmband in Gold): Für Johannes Schaaf (Regie), Alexander May (Darstellerische Leistung) und Houwer-Film (Abendfüllender Spielfilm). Damals eine der meistbeachteten Produktionen des „Jungen Deutschen Films“, war er in den letzten Jahrzehnten nur sehr selten zu sehen.
Unser Flyer zu dieser Rarität. Sie dürfen ihn gern herunterladen, ausdrucken, verteilen oder einrahmen und an die Wand hängen.
Siehe auch hier.
VORSCHAU: Am Montag, 20. Januar 2025 um 17.30 Uhr möchten wir den grauen Januar etwas aufhellen mit Horst Seemanns ausgelassenem Musical Hochzeitsnacht im Regen, einem der ungewöhnlichsten Musikfilme der DEFA (in Farbe und Scope). 1966/1967 entstanden, dreht er sich um eine junge Frau, die nach Berlin geht, um Jockey zu werden – und, um eine Zuzugsgenehmigung zu erhalten, etwas überstürzt heiratet. Die Hauptrollen spielten Traudl Kulikowsky und Frank Schöbel.
RÜCKBLICK: Wir präsentierten nochmals im
Oktober 2023: Endstation Liebe (der neue Flyer hier)
November 2023: Das siebente Jahr (der neue Flyer hier)
Dezember 2023: Plastikfieber (der neue Flyer hier)
Januar 2024: Ganovenehre (der neue Flyer hier)
Februar 2024: Ein Polterabend (der neue Flyer hier)
März 2024: Verwirrung der Liebe (der neue Flyer hier)
April 2024: Zwei unter Millionen (der neue Flyer hier)
Mai 2024: Tatort Berlin (der neue Flyer hier)
Juni 2024: Flucht nach Berlin (der neue Flyer hier)
Juli 2024: Zugverkehr unregelmäßig (der neue Flyer hier)
August 2024: Es (der neue Flyer hier)
September 2024: Make Love Not War – Die Liebesgeschichte unserer Zeit (der neue Flyer hier)
Oktober 2024: Wir lassen uns scheiden (der neue Flyer hier)
November 2024: Gejagt bis zum Morgen (der neue Flyer hier)
Bilder: Edison Filmgesellschaft.